Gänsehaut-Momente: „Schwarze Witwe“ führt über Friedhöfe

Ein originelles Angebot für Betriebsausflug, Familienfeier oder Sonstiges bietet Dr. Anja Kretschmer aus Rostock. Sie führt verkleidet als „Schwarze Witwe“ über den Friedhof – das kann in der Dämmerung schon ein bisschen gruselig werden – und macht sehr viel Spaß!

Foto: Cathi Schulz

Auch im Ruhrgebiet ist Dr. Anja Kretschmer immer mal wieder unterwegs. Die Besonderheit dieser Führungen liegen in ihrer Authentizität, denn alle Geschichten besitzen regionalen Bezug. Das Forum Dunkelbunt konnte Dr. Anja Kretschmer ein paar Fragen zu ihrem Projekt stellen:

Forum Dunkelbunt: Wie kamen Sie als Kunsthistorikerin auf das Thema Tod und Friedhöfe?

Dr. Anja Kretschmer: Das Thema beschäftigte mich schon immer und deshalb lag es nahe den Friedhof als Thema meiner Doktorarbeit zu wählen, da er der Ort ist, der mich schon immer begleitet hat.

Forum Dunkelbunt: Sie treten ja, zum Beispiel im Programm „Friedhofsgeflüster – Von Totenkronen, Wiedergängern und der Angst vor dem Scheintod“ auch im Kostüm einer schwarzen Witwe auf. Wird da den Gästen manchmal etwas schwummerig?

Dr. Anja Kretschmer: Im Gegenteil, dadurch fühlen sie sich sehr gut abgeholt und alle Zweifel oder Befürchtungen sind im Nu beiseite gewischt, da die Witwe die Besucher sehr charmant und liebenswürdig empfängt. Dadurch wird dem Thema eine gewisse Leichtigkeit vermittelt.

Forum Dunkelbunt: Im zweiten Teil des Friedhofsgeflüster geht es um den Umgang mit der Leiche und um die Trauer- und Gedenkkultur des 19. Jahrhunderts. Wie recherchieren Sie Ihre Hintergrundinformationen – und was ist Ihr Konzept, um die Informationen auch an die Menschen zu bringen?

Dr. Anja Kretschmer: Ich lese mir seit einigen Jahren die Informationen zusammen – aus regionalen Büchern zum Thema Brauchtum, aus dem Lexikon des Aberglaubens beispielsweise oder von berühmten Volkskundlern, deren Aufzeichnungen in Archiven zu finden sind. Auch Märchen und Sagen enthalten wichtige Informationen darüber.
Bei der Vermittlung schaue ich immer darauf, dass der Bogen vom Eintritt des Todes bis hin zur Zeit danach gespannt wird. „Rund um die Leiche“ ist ein Thema, welches vor allem einen eher ungewöhnlichen Umgang mit dem toten Körper darstellt, z.B. wenn es da um Leichenteile für medizinische Zwecke geht, der damals ganz normal und heute kaum vorstellbar ist.

Das Publikum fängt selbst an zu spielen, wenn es mit der „Schwarzen Witwe“ unterwegs ist. (Foto: Heinrich v. Schimmer)

Forum Dunkelbunt: In Ihrer Heimatstadt Rostock treten Sie auch als Göttin Hekate auf und werden unterstützt von einer Reihe Darstellern der 1. Bürgerbühne des Rostocker Volkstheaters, die plötzlich im Dunkeln auftauchen – liebten die Zuschauer die wohligen Gruselschauer?

Dr. Anja Kretschmer: Ich denke die Mischung ist es, einerseits sind Gänsehaut-Momente natürlich dabei – das hängt ja von jedem einzelnen ab, inwiefern er empfänglich ist – andererseits aber auch immer humorvolle oder sehr rührende und nachdenklliche Momente. Bei der Führung mit Göttin Hekate verriet mir ein Besucher danach, dass er das Gefühl hatte, in eine ganz andere Welt abgetaucht zu sein!

Forum Dunkelbunt: Sie bieten auch kunsthistorische Führungen zum Wandel der Grabkultur an – welche Führungen sind Ihnen selbst die liebsten und welche mögen die Zuschauer am liebsten?

Dr. Anja Kretschmer: Mir gefallen all meine Führungen, da sie eine einzieg Berufung darstellen und die Wandlungsfähigkeit meiner Rollen eine gute Abwechslung für mich selbst zulassen. Die Zuschauer mögen am liebsten die Führungen in Verkleidungen – da sie dort in unbekannte Welten abtauchen können und den Tod mit einer gewissen Distanz begegnen können.

Forum Dunkelbunt: Wie ist Ihr persönlicher Zugang zu Friedhöfen – hatten Sie schon immer einen Hang zum Morbiden?

Dr. Anja Kretschmer: Ja, den habe ich und ich finde an „morbid“ auch nichts Abstoßendes oder Schlimmes. Friedhöfe erden mich, zeigen mir die Endlichkeit auf, laden mich zum Nachsinnen ein und präsentieren Lebensgeschichten, die man sonst nie erfahren würde.

(Foto: Cathi Schulz)

Forum Dunkelbunt: Sie begehen auch die Herbstmondnacht – welchen Hintergund hat dieses Ritual?

Dr. Anja Kretschmer: Die Herbstmondnacht versteht sich als lange Nacht der offenen Gruft. Einblicke in historische Grabanlagen sind dort entweder in Kirchen oder Friedhöfen möglich. Das, was man sich sonst nicht vorstellen kann, kann man sich an diesem Abend anschauen und dabei ein wertvolles aber eben kaum sichtbares Kulturgut kennenlernen – den Sarg! Entwicklungsgeschichte und wie man Grüfte und Särge zeitlich einordnen kann – all dies wird an diesem Abend erläutert.

Forum Dunkelbunt: Haben Sie noch Pläne, wie sich Ihr Geschäft weiterentwickeln ließe – bleibt noch Luft nach oben?

Dr. Anja Kretschmer: Luft nach oben besteht immer. Ich habe zum Glück genügend Ideen und manchmal fehlt mir nur die Zeit diese umzusetzen. Ein weiteres Buch ist in Planung, da in dem ersten bei weitem noch nicht alle Themenbereiche vorgestellt wurden. Auch neue Führungsformate erarbeite ich gerade und dann gibt es ja noch das „Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten“, welches jedes jahr an einem anderen lost place stattfindet und sich Themen widmet, die vergessen oder unbekannt sind.

(Startfoto: Dietmar Lilienthal)
01.09.2019

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