Matthias Gockel: Sterben erträglicher machen

Einer von denen, der den Menschen helfen will, das Sterben im Krankenhaus erträglicher zu machen, ist der Berliner Palliativmediziner Matthias Gockel. In seinem Buch „Sterben – Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen“ erzählt er sehr persönlich aus seinem Arbeitsalltag.

„Halte es für möglich, dass dein Arzt beim Thema Tod noch mehr Angst hat als du.“

Wir müssen über den Tod reden.
Es nicht zu tun, bedeutet, die Entscheidung darüber, wie wir sterben wollen, anderen zu überlassen.

Der Palliativmediziner Matthias Gockel erlebt täglich, wie sehr Verdrängen und Verschweigen einen bewussten Umgang mit dem Sterben blockieren – nicht nur bei Patienten und Angehörigen, sondern auch bei ihren Ärzten. Er fordert deshalb eine neue Art der Gesprächskultur. Indem er aus seinem Berufsalltag erzählt, macht er nicht nur Mut, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen. Er gibt zudem wichtige Orientierungshilfen, wie sich in einem zunehmend auf Kostenersparnis ausgerichteten Medizinsystem Entscheidungen treffen lassen, die für ein Sterben in Selbstbestimmung und Würde unabdingbar sind.

Aspekte hat ein Interview geführt mit Matthias Gockel:

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Matthias Gockel
Sterben
Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen
Verlag Piper
Hardcover 22 Euro
e-Book 15,99 Euro

272 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-8270-1354-5

 

Vorwort

„Warum ist der Tod eines Menschen stets eine Art Skandal? Warum sind wir jedes Mal erstaunt, wenn ein Lebender dahingeht, als fände solch ein Ereignis zum ersten Mal statt?“ Die Antwort auf die Fragen, die der französische Philosoph Vladimir Jankélévitch einmal gestellt hat, fällt leicht: Weil wir Angst vor dem Tod haben.

An den Tod gewöhnt man sich nicht. Der Tod ist immer jung. Man wird die Angst vor ihm nicht los. Auch ich spüre sie, obwohl ich mich als Palliativmediziner jeden Tag mit Sterben und Tod beschäftige.

Oft scheint es, als wären gerade Ärzte besonders von dieser Angst betroffen. Doch sie einzugestehen, gilt im Gesundheitssystem als Zeichen von Schwäche. Ärzte sind darauf trainiert, cool und kompetent zu wirken, distanziert und professionell aufzutreten. Dabei macht auch sie der Tod unsicher. Weil sie so gut darin sind, Leben zu retten, halten sie es manchmal kaum aus, wenn ihnen das nicht gelingt.

Die Palliativmedizin kann als Ergänzung oder auch als Alternative betrachtet werden zum Heilenwollen um jeden Preis und zum reinen Verlängern der Lebenszeit. Ihr Ansatz ist es, bei lebensbedrohlichen Erkrankungen die Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen zu verbessern. Dazu gehört nicht nur das Lindern von Schmerzen oder anderer körperlicher Symptome. Genauso wichtig ist das frühzeitige Erkennen und Behandeln von psychischen, sozialen oder spirituellen Problemen.

Im besten Fall geht Palliativmedizin aber über bloße Fachkompetenz hinaus. Es gibt Probleme, die sich nicht rein technisch lösen lassen. Manche Schmerzen sind durch kein Medikament zu stillen. Für sie braucht es Aufmerksamkeit und Zuwendung und eine Haltung, die dem anderen die Gewissheit gibt, wahrgenommen zu werden – im Leben wie im Sterben.

Nicht zuletzt von dieser Haltung soll das vorliegende Buch handeln. Sie soll sich, so meine Hoffnung, beim Gang durch die Kapitel mitteilen. Ich habe versucht, dem Buch einen persönlichen, nie abstrakten Tonfall zu geben. Mir geht es darum, das Vermitteln von konkreten Fakten und Informationen mit dem Erzählen zu verbinden; einem Erzählen aus der Innensicht von zwanzig Jahren Berufserfahrung.

Orientiert habe ich mich dabei an Fragen, die mir bei meiner Arbeit immer wieder begegnen: Was sollten Patienten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung unbedingt beachten? Welche Möglichkeiten palliativer Versorgung gibt es in Deutschland? Was können Angehörige tun? Wie sieht eigentlich der Alltag auf einer Palliativstation aus? Warum fällt es vielen Ärzten so schwer, Schmerzen adäquat zu behandeln? Kann sich der Traum von einem „guten Sterben“ erfüllen?

Ich erzähle von Menschen, die ich in ihrer letzten Lebensphase kennengelernt und bis zum Tod begleitet habe. So ist es auch ein Buch voller Geschichten geworden, traurigen wie absurden, wütenden wie komischen.

Im Lauf der Zeit habe ich gelernt, dass gelingende Kommunikation viel dazu beitragen kann, der Angst vor dem Sterben und dem Tod etwas von ihrer Wucht zu nehmen – durch das Vermitteln von Sicherheit und das Schaffen von Nähe. So einiges kann schiefgehen im Gespräch zwischen Ärzten und Patienten, Ärzten und Angehörigen, Angehörigen und Patienten. Anhand zahlreicher Beispiele möchte ich Wege aus der Sprachlosigkeit aufzeigen, die viele in der Gegenwart Sterbender befällt.

Dieses Buch kann als ein Appell verstanden werden, mit größerer Entschlossenheit über die letzten Dinge zu reden. Das gilt auch für das mit großen Ängsten besetzte Thema Sterbehilfe. Ich möchte es in den abschließenden Kapiteln ebenso diskutieren wie das in meinen Augen verbesserungswürdige Konzept der Patientenverfügungen. Darüber hinaus finden sich im Anhang noch einige praktische Tipps. Sie sollen lebensbedrohlich erkrankte Patienten zu einer offeneren Kommunikation mit den behandelnden Ärzten ermutigen.

Der Tod wird immer ein Skandal bleiben. Aber wir können lernen, ihm etwas weniger unvorbereitet zu begegnen. Dazu möchte ich mit diesem Buch einen Beitrag leisten.

Matthias Gockel, im Juli 2019

Dr. med. Matthias Gockel

geboren 1970 in Wuppertal, ist Internist und leitete von 2009 bis 2017 die Palliativstation im Helios-Klinikum Berlin-Buch. Zuvor hatte er die Palliativstation am Klinikum Großhadern in München mit aufgebaut. Seit 2018 ist er Leitender Oberarzt Palliativmedizin im Vivantes-Klinikum im Friedrichshain in Berlin

 

 

 

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