Ärzte lernen, über den Tod zu sprechen

Für Hinterbliebene ist wichtig, Ärzte an der Seite zu haben, die die Symptome und Prozesse der Trauer kennen. Doch erst seit gut einer Dekade lernen Medi­zin­stu­denten über den Umgang mit Trau­ernden.

Ein spannender Beitrag von Margaret Heckel im Online-Magazin Trauer Now:

„Für die einen fühlt es sich an, wie vom Laster über­fahren worden zu sein. Andere haben einen erhöhten Blut­druck, Blähungen oder Sodbrennen. Für das „gebro­chene Herz“ gibt es sogar einen Fach­be­griff – das „Takot­subo-Syndrom“, das sich in Brust­schmerzen und Kurz­at­mig­keit ausdrückt.

Wenn Menschen trauern, schlägt das oft nicht nur auf die Seele, sondern auch auf den Körper. Gehen sie dann mit diesen Beschwerden zu ihrer Ärztin oder Arzt, ist es sehr wichtig, dass diese auf dem Gebiet der Ster­be­be­glei­tung und Trau­er­ver­ar­bei­tung geschult sind. Doch erst seit 2014 ist Pallia­tiv­me­dizin Pflicht­fach im Medi­zin­stu­dium. Vorher hatten einige Univer­si­täten es als Wahl­fach oder frei­wil­liges Seminar ange­boten. Häufig werden Rollen­spiele mit Schau­spie­lern zum Erkennen von Trau­er­si­tua­tionen ange­wandt. Nähere Infor­ma­tionen im beilie­genden Curri­culum der DGP für Medi­zin­stu­denten. https://​m.thieme.de/​viame­dici/​klinik-faecher-sons­tige-faecher-1548/​a/​pallia­tiv­me­dizin-4323.htm

Allge­mein­me­di­ziner müssen sich eigen­ständig um Fort- und Weiter­bil­dungmög­lich­keiten im Bereich Pati­enten mit Trau­er­sym­ptomen kümmern. Dementspre­chend dünn ist oft auch das Wissen vieler Heil­kundler.

Die Verdrän­gung des Todes

Eine, die das seit gut drei Jahr­zehnten zu ändern versucht, ist die Psych­ia­terin und Psycho­the­ra­peutin Elisa­beth Daikeler aus Karls­ruhe. Seit 1998 befasst sich die inzwi­schen pensio­nierte Ärztin mit dem Thema und schult ihre Kolle­ginnen und Kollegen. Als ein Kollege krank geworden war, so erzählt sie, wollte sie nach­lesen, was es in den medi­zi­ni­schen Lehr­bü­chern zum Thema Sterben und Trauer gibt. Doch nur in einem Buch habe sie auf der aller­letzten Seite etwas gefunden.
Gynä­ko­logie, Geburts­hilfe stand von Anbe­ginn auf dem Ausbil­dungs-Kanon von Medizin-Studen­tinnen und Studenten. Daikeler vermutet, dass dieses Manko mit der allge­meinen Verdrän­gung und der fehlenden Aufar­bei­tung der trau­ma­ti­sie­renden Folgen des Zweiten Welt­kriegs zu tun habe.

Sie selbst grün­dete dann eine Hospiz-Gruppe und lernte nach und nach über Trauer und Verlust zu reden und ihre Erkennt­nisse in Fort­bil­dungen weiter­zu­geben. Hilf­reich seien dabei die soge­nannten „Balint-Gruppen“ gewesen. Sie gehen auf den Psych­iater Michael Balint zurück und richten sich an Allge­mein­ärzte, die in kleinen Gruppen, unter Anlei­tung eines Psycho­ana­ly­ti­kers, über einen Pati­enten spre­chen. „Ein Drittel aller schwer und chro­nisch Kranken geht nie zum Psych­iater und wird vom Haus­arzt behan­delt“, sagt Daikeler. In den Balint-Gruppen kommen gut zehn Ärzte zusammen. „Jeder trägt sein Wissen bei und am Ende wird durch das gemein­same Gespräch viel klarer, was den Pati­enten helfen würde“, berichtet die Fach­frau.

Ärzte lernen über den Tod und Trauer zu spre­chen

Seit gut 30 Jahren bietet Daikeler derar­tige Treffen an. Zudem gäbe es seit Anfang der 2000er-Jahre die Pallia­tiv­wei­ter­bil­dung. „Darin lernen die Ärzte, über Tod und Trauer zu spre­chen“, sagt Daikeler. „Mein Eindruck ist, dass die Medi­ziner dieses Wissen gera­dezu aufsaugen und es als sehr hilf­reich für ihre Praxis empfinden.“

Bei der Trauer müsse „man als Arzt in eine einfache Kommu­ni­ka­tion zurück“, sagt Daikeler, es ginge „um eine wohl­wol­lende Distanz, die aber das Mitfühlen viel deut­li­cher“ zeigen darf. Die Ärzte wollen oft mehr Empa­thie zeigen und helfen“, sagt sie. Doch sei den Pati­enten kaum geholfen, wenn die Ärztin oder der Arzt mit ihnen mittrauern. Besser sei eine „wohl­wol­lende Beglei­tung“, bei der die Medi­ziner neue Anre­gung und neue Hinweise geben könnten.

Dazu gehört auch die oft körper­li­chen Schmerz­sym­ptome als eine Reak­tion der Trauer erkennen und einordnen zu können. Die behan­delnden Ärzte sollten auch ein Auge auf die Möglich­keit/​Tendenzen zu einer Selbst­tö­tung haben, da die Suizi­däts­rate von Trau­ernden höher ist als im gesell­schaft­li­chen Schnitt.

Trauer nimmt sich ihre Zeit

Die Zeit, die jede und jeder zum Trauern braucht, ist bei jedem völlig unter­schied­lich. Daikeler kriti­siert daher die gängige Einschät­zung unter Medi­zi­nern, dass nach 12 Monaten Trauer bereits von einer „patho­lo­gi­schen Trau­er­si­tua­tion“ zu spre­chen sei.

Um zu erkennen, was eine „anhal­tende komplexe Trau­er­stö­rung“ ausmacht, gibt es im US-ameri­ka­ni­schen Diagnose-Schema DSM bereits Behand­lungs­zif­fern. Im bereits erschienen ICD-11 (tritt 2022 in Kraft) ist die ATS, die anhal­tende Trau­er­stö­rung, als eigen­stän­dige Erkran­kung aufge­führt. Zuvor wurden Trau­er­be­schwerden unter Depres­sion abge­rechnet und leider auch oft so behan­delt. Anti­de­pres­siva sind keine „schnelle Lösung“ gegen Trauer.

Doch warnt die Fach­frau aus ihrer jahr­zehn­te­langen Erfah­rung mit Menschen in Trauer, längere Trau­er­zu­stände zu patho­lo­gi­sieren. Auch der gut gemeinte Ratschlag, „loszu­lassen“ helfe wenig – das empfänden viele, als ob geliebte Verstor­bene ein zweites Mal sterben würden. Moderne Trau­er­for­schung spricht davon dem Verstor­benen einen neuen Ort zu geben, im Herzen, in der Erin­ne­rung.

Statt­dessen verweist sie auf die „zirku­läre Trauer“, die der Thera­peut Roland Kachler beschrieben hat. Kachler hat seinen 16-jährigen Sohn durch einen Unfall verloren. „Der Tod beendet das Leben meines geliebten Menschen, nicht aber meine Liebe zu ihm“, schreibt er auf seiner Webseite. Deshalb sei beim Trauern nicht das „Loslassen“ zentral, sondern die „Liebe und der Wunsch, diese Liebe in einer verän­derten Form weiter­leben zu können“.

Der Verstor­bene werde so zu einem „inneren Begleiter oder sogar Ratgeber“, schreibt Kachler in dem Buch „Lass uns über den Tod reden“, das sieb­zehn weitere Geschichten von Menschen enthält, die berüh­rend über ihre Verlus­ter­fah­rung berichten. In einem weiteren Schritt könne der geliebte Mensch dann sogar zu „einer inneren Energie- oder Kraft­quelle“ werden.

Daikeler formu­liert es so: „Die äußere Bezie­hung ist abge­bro­chen, die innere Bezie­hung muss gestärkt werden. So kann es gelingen, den Verstor­benen an seinem Ort zu lassen und so durch das Leben zu gehen.“

Dieser Weg benö­tigt sicher­lich viel Kraft. Und nicht jede Trau­ernde oder Trau­ernder wird in der Lage sein, ihn zu gehen. Wichtig aber ist, sich über­haupt auf den Weg zu machen und dabei Ärztinnen und Ärzte an seiner Seite zu haben, die gelernt haben, mit Trauer umzu­gehen.

 

Margaret Heckel. Die Jour­na­listin/​Autorin Margaret Heckel schreibt über Wirt­schafts- und Poli­tikthemen
Anfragen an Dr. Elisa­beth Daikeler bitte an die Redak­tion schi­cken: info@trauer-now.de

Buch­tipp:

C. Juliane Vieregge, Lass uns über den Tod reden
2019, 304 Seiten, ISBN: 978-3-96289-044-5″

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