„Wer früher plant, ist nicht gleich tot“

Janine Berg-Peer will nicht warten, bis es zu spät ist. „Jetzt denken wir den Tod mal vom Ende her…“ ist die Devise der eins­tigen Unter­neh­mens­be­ra­terin, „Je mehr wir uns kundig machen, desto geringer wird unsere Angst vor den letzten Jahren.“ Hier ihr Bericht aus „Trauer now“:

Was kann ich noch tun, damit meine Wünsche für die letzten Monate oder Jahre meines Lebens und meines Ster­bens berück­sich­tigt werden? Wie es der Autor Erich Schüt­zen­dorf, der sich seit Jahren mit dem Älter­werden und der Pflege von alten Menschen beschäf­tigt, vorschlägt, brauche ich eine Lebens­ver­fü­gung für meine Kinder und die Menschen, die mich später pflegen. Ich schreibe nun einen Brief, in dem ich aufliste, was ich mir für die aller­letzte Zeit meines Lebens wünsche.

Meine Lebens­ver­fü­gung

„Liebe Kinder und liebe künf­tige Pfleger*innen,
wenn ich nicht mehr selbst bestimmen kann, was mit mir passiert, dann erin­nert euch bitte daran, was ich in diesem Brief aufschreibe. Wenn ich es mir leisten kann, in einem Zimmer für mich allein im Pfle­ge­heim betreut zu werden, dann hätte ich dort gern einen inter­net­fä­higen Fern­seher, mit dem ich auch Strea­ming-Videos sehen kann. Ich weiß, wie schlimm es ist, wenn man auf öffent­lich-recht­liche Sender und Privat­sender ange­wiesen ist.

Mein Smart­phone mit meiner gesamten Media­thek würde viel­leicht die Schmerzen und auch meine Angst vertreiben helfen. Keines­falls möchte ich am Ende des Lebens sanfte Klang­scha­len­musik oder andere spiri­tu­elle Töne hören, die gern beim Yoga oder bei Physio­the­ra­peuten abge­spielt werden. Nein, ein schönes Streich­kon­zert oder auch Janis Joplin mit »Oh Lord, please give me a coloured TV« würde mich erfreuen.

Ich schlafe nicht gern auf dem Rücken, sondern nur auf der Seite. Ich brauche immer ein geöff­netes Fenster beim Schlafen, zu viel Wärme ertrage ich nicht.
Schön fände ich frische Blumen, bitte keine Sukku­lenten und auch keine Alpen­veil­chen. Bitte zwingt mich nicht zur Teil­nahme an gemein­samen Akti­vi­täten.
Das will ich hier noch einmal ausdrück­lich erwähnen.

Aber even­tuell bin ich ja dazu eh nicht mehr in der Lage. Glaubt bitte nicht, ich sei einsam. Ich bin gern allein und fühle mich auch dann wohl, wenn ich in meinem Zimmer im Bett liege oder auf meinem Sessel sitze und aus dem Fenster schaue. Wenn ihr mich besu­chen und etwas mitbringen wollt, liebe Kinder; dann wisst ihr, dass ich Kran­ken­hau­sessen gräss­lich finde, Pralinen mag ich auch nicht. Um das Essen im Pfle­ge­heim ein biss­chen aufzu­peppen, bringt bitte einen reifen Camem­bert aus Ziegen­milch und Mailänder Salami mit. Auch ein paar kleine Fläsch­chen Sekt könnten dabei sein, ein Gläs­chen ab und zu vor dem Schlafen wird mir bestimmt guttun. Bitte, beachtet die Ratschläge von Ärzten nicht, die behaupten, Camem­bert und Sekt seien für mich nicht gesund.

Kurz vor meinem Tod ist das absurd.

Dann zählt nur noch, was für mich schön ist.
Ich bin auch nicht allein mit meinem Wunsch, am Lebens­ende noch gut zu essen. In Baden-Würt­tem­berg kocht eine passio­nierte Hobby­kö­chin als »Wunscher­fül­lerin« für die Pati­enten. In Frank­reich wird in einem Hospiz ab und zu zum Abend­essen noch ein Glas Rotwein gereicht. Das Aller­schönste für mich wäre es, wenn meine Kater Basquiat und Giaco­metti bei mir sein könnten. Ob man seine Tiere mit ins Hospiz nehmen darf? Versucht das doch bitte durch­zu­setzen, es wird doch so viel von Tier­the­rapie geredet. Die beiden wären mir eine Freude und ein wirk­li­cher Trost. Ich bitte euch, jeden spiri­tu­ellen Beistand für mich abzu­wehren. Bitte tut das freund­lich, denn die Seel­sorger meinen es bestimmt gut. Aber für mich können sie nichts tun. Ich wünsche mir eine gut ausge­bil­dete Hospiz­pfle­ge­kraft an meiner Seite, die sich mit Schmerz­re­du­zie­rung auskennt und gern lacht. Fragt nicht, wie es mir geht, denn es wird mir schlecht gehen, sondern erzählt mir etwas von eurem Leben.

Bitte versprecht mir eines:

In allen Texten über das Sterben ist davon die Rede, dass man dem Ster­benden zum Schluss die Hand hält. Lasst nicht zu, dass ein fremder Mensch mich strei­chelt oder meine Hand hält, so lieb das auch gemeint sein mag. Ihr könnt meine Hände halten, wenn ihr mögt, aber bitte niemand sonst.

Viel­leicht schaffe ich es auch, wirk­lich selbst­be­stimmt zu sterben, wenn es mir zu schlecht gehen sollte. Ster­be­fasten scheint eine bewährte Methode zu sein, die uns alten Menschen hilft, möglichst selbst­be­stimmt aus dem Leben zu gehen. Nur brauche ich dabei eure Hilfe. Wenn mein Körper spürt, dass der Tod kommt, dann will ich nichts mehr essen, sondern bereite mich auf das Ende vor. Das Allerschönste wäre natür­lich, wenn ich mich wie der alte Häupt­ling in dem Film »Little Big Man« mit Dustin Hoffman auf einen Berg oder auf meine Terrasse zurück­ziehe und auf den Tod warte. Obwohl wir leider aus dem Film wissen, wie das endete. Als die ersten Regen­tropfen kamen, stand der alte Indianer seuf­zend auf und meinte lachend, dass es eben nicht immer klappt.

Meine Lebens­ver­fü­gung wird sicher noch länger werden, es wird mir sicher mehr Wich­tiges dazu einfallen. Aber noch lebe ich ja eine Weile.“

 

Janine Berg-Peer, geboren 1944, ist Mutter von vier Kindern mit drei Enkeln und einem Urenkel. Bevor sie sich auf das Coaching von Ange­hö­rigen von psychisch Erkrankten konzen­trierte, war sie Unter­neh­mens­be­ra­terin. Heute bietet sie Vorträge und Work­shops zum Thema ALTER an. Die „Lebens­ver­fü­gung“ ist dem Buch von Janine Berg-Peer entnommen: „Wer früher plant, ist nicht gleich tot“, Gold­mann Verlag, ISBN 978-3-442-14240-8.

Foto: pixabay

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