Alles rund ums Sterben als neues Studienfach in Regensburg

In Deutschland sterben derzeit jährlich etwa 900.000 Menschen. Paradox formuliert: Sterben ist das Zukunftsthema einer alternden Gesellschaft. Die Universität Regensburg richtet zum Wintersemester 2020/21 den Studiengang „Perimortale Wissenschaften“ ein – wir sprachen mit Prof. Rupert Scheule, der den Lehrstuhl inne hat:

Forum Dunkelbunt: Prof. Scheule, können Sie mit Ihrem bundesweit einmaligen Angebot zum Wintersemester starten – trotz der Coronakrise?

Prof. Rupert Scheule: Das hoffen wir! Es gibt bereits zahlreiche Bewerber um einen Studienplatz, die wollen wir ungern enttäuschen. Etwas länger gedulden müssen sie sich aber. Wegen Corona wurde der Semesterstart in Bayern um zwei Wochen verschoben auf den 2. November.

Forum Dunkelbunt: Prof. Scheule, was bedeutet „perimortal“?

Prof. Rupert Scheule: Wörtlich: „um den Tod herum“. Sie kennen sicher das Wort „perinatal“, dem haben wir dieses für den Studiengang titelgebende Adjektiv nachgebildet. Es steht für die Grundidee: der Tod ist nicht als isoliertes Ereignis zu betrachten. Er ist eingebettet in einen dynamischen Prozess. Und genau der interessiert uns.

Forum Dunkelbunt: Der Masterstudiengang „Perimortale Wissenschaften“ (PeWi) ist einmalig in der Bundesrepublik – was zeichnet ihn konkret aus?

Prof. Rupert Scheule: Der konsequent interdisziplinäre Zugang zu perimortalen Themen (es gibt Veranstaltungen in Humanmedizin, Rechtswissenschaft, Philosophie, katholischer und evangelischer Theologie, Soziologie und Kulturwissenschaft) sowie gute Theorie-Praxis-Bezüge.

Forum Dunkelbunt: In welchen Berufszweigen werden Ihre Absolventen tätig werden?

Prof. Rupert Scheule: Die derzeitigen Bewerber kommen aus den Berufsfeldern der Sozialen Arbeit, des Gesundheitsmanagements, der Pflege, der Friedhofsverwaltung und der Medizin. Wer bei uns studiert hat, kann in all diese Bereiche mit perimortaler Kompetenz zurückkehren. Wir glauben aber auch, dass mit unseren Absolventen neue Tätigkeitsprofile erst entstehen im perimortalen Raum.

Forum Dunkelbunt: Sie wollen Sterben, Tod und Trauer aus vielfältigen interdisziplinären Perspektiven beleuchten – welche Disziplinen spielen hier eine Rolle und warum?

Prof. Rupert Scheule: Im Grunde ist der Tod ein zu großes Thema für nur eine Disziplin. Daher, wie gesagt, die interdisziplinäre Mischung. Mediziner müssen ihr Fachwissen einbringen, wenn es um die Versorgung von Sterbenden und von Toten geht. Viele Trauernde sind in Rechtsfragen unsicher, daher stellen wir juristische Expertise bereit. Soziologen helfen, das gesellschaftliche Umfeld von Sterben und Tod zu verstehen, Theologen und Philosophen sind Experten für die letzten großen Fragen, die der Tod ja immer auch stellt.

Forum Dunkelbunt: Die moderne Intensivmedizin erlaubt oft eine dauerhafte Lebensverlängerung auch bei sterbenden Patienten. Geht es in dem Studienfach auch um die Frage, wann ein Leben für „zu Ende“ erklärt werden kann, d.h., wann Apparate abgestellt werden sollten?

Prof. Rupert Scheule: Zumindest werden unsere Leute wissenschaftlich konfrontiert mit der Problematik von „end of life decisions“. Sie werden daher Menschen beraten können, die diese zu treffen haben.

Forum Dunkelbunt: Sie sagen, dass trotz religiöser und weltanschaulicher Vielfalt in unserer Gesellschaft die christlichen Kirchen noch immer als Kompetenzzentren gelten gerade für Sterben und Abschied, Trauer und Trauerbegleitung. Welche besondere Kompetenz haben die christlichen Kirchen auf diesem Gebiet?

Prof. Rupert Scheule: Die Kernkompetenz der Religionen ist der Umgang mit Außeralltäglichem. So stellt das Christentum das große Glück in einen Dankbarkeitshorizont, Leid und Tod versieht es mit einem Index des Vorläufigen: am Ende siegt das Leben. Wer das glaubhaft vertritt, kann Sterbenden und Trauernden gut nahe sein. Das darf nicht verwechselt werden mit dem Aufsagen putzmunterer Auferstehungsbotschaften. So etwas ist nie hilfreich.

Außerdem haben Religionen über die Jahrtausende ein Riten-Repertoire für alle möglichen Übergangssituationen angehäuft, besonders aber für den Übergang vom Leben zum Tod. Und Riten sind wichtig im perimortalen Raum. Sie geben Halt im Angesicht großer Geheimnisse. Und stiften Zusammenhalt. Meiner Erfahrung nach unter Gläubigen wie Ungläubigen. Niemand sollte also mit dem PeWi-Master-Zeugnis die Uni Regensburg verlassen ohne eine gewisse Ritenkompetenz.

Forum Dunkelbunt: Wir bedanken uns für das Gespräch!

Zur Info:

Nähere Informationen zum Studiengang gibt es unter www.go.ur.de/pewi

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