„Nicht hysterisch reagieren, aber die Trauer zulassen“

Dr. Susanne Winnacker und Sabine Krüger sind prägende Gesichter im Schauspielhaus Bochum, die eine als stellvertretende Intendantin, die andere als rechte Hand von Intendant Johan Simons. Im Gespräch mit Forum Dunkelbunt erzählen sie, wie sie auf Idee gekommen sind, Botschafterinnen für den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Löwenzahn in Bochum zu werden.

Forum Dunkelbunt: Sie sind beide viel beschäftigt in einem der renommiertesten Theater Deutschlands. Was berührt sie an der Arbeit von Löwenzahn so, dass sie sich selbst einbringen möchten?

Sabine Krüger

Sabine Krüger: Schön ist, dass in dieser Arbeit so viel Mitmenschlichkeit geweckt wird. Die Corona-Pandemie hat ja neben vielen Problemen auch gezeigt, dass Menschen gerne helfen. Das ist doch eine gute Nachricht.

Susanne Winnacker: Eine meiner ersten Erfahrungen hier in Bochum war, dass die Menschen nicht wegsehen, wenn jemand weint und das kann auch ganz anders sein. Ich stand weinend auf dem Theatervorplatz, weil mich ein Theaterstück so berührt hatte. Und viele kamen und fragten, wollten helfen. Zum Schluss standen auf dem Vorplatz zwölf Menschen um mich herum und diskutierten über das Stück.

Forum Dunkelbunt: Wie ist die Entscheidung für Löwenzahn gefallen?

Dr. Susanne Winnacker

Susanne Winnacker: Ich habe gesehen, dass hier ist etwas ist, bei dem das Theater ohne Probleme einsteigen kann, etwas, wofür es auch da ist.

Forum Dunkelbunt: Wie meinen Sie das?

Susanne Winnacker: Theater ist auch dafür da, traurigen Menschen Freude zu machen, ohne dabei caritativ zu sein. Denn die Beschenkten sind wir. Weil wir Fragen beantworten dürfen, Freude teilen dürfen. Da muss gar nicht viel zusammengefügt werden. Dafür ist Theater da und es gibt allen die Möglichkeit, etwas zu lernen.

Forum Dunkelbunt: Und was hat das mit Tod zu tun?

Susanne Winnacker: Wenn Theater nix mit Tod zu tun hat, ist es unsinnig. Tod und Leben sind identisch. Wo soll man darüber sprechen, wenn nicht im Theater?

Forum Dunkelbunt: Frau Krüger, was war ihr Zugang zur ambulanten Kinder- und Jugendhospizarbeit?

Sabine Krüger: Auch ich habe das spontan als relevant empfunden. In meinem Umfeld sind in den letzten Jahren fünf Kinder gestorben, darunter auch ein Suizid. Das verändert die Beziehungen. Manche Beziehungen lösen sich auf, andere ändern sich, weil das gemeinsame Erleben zusammenhält.

Forum Dunkelbunt: Wo sehen Sie da die Möglichkeiten des Theaters?

Sabine Krüger: Das Theater beschäftigt sich mit allen Facetten des Lebens. Es gibt so viele Künstler mit unterschiedlichsten Ansätzen und Ausdrucksweisen. Im künstlerischen Schaffensprozess werden Themen künstlerisch ausgedrückt, „konzentriert“ oder vielleicht sogar „überdeutlich“ dargestellt – und trotzdem berühren sie das Gegenüber. Leben, Liebe, Leid und Tod gehören zum normalen Lebensprozess. Und da sind wir wieder bei der Freude, von der Frau Dr. Winnacker spricht. Denn der Mensch kann Freude bereiten. Ist das nicht großartig? Theater ist ein intensives Erlebnis, auf das man sich einlassen muss.

Forum Dunkelbunt: Inwiefern?

Sabine Krüger: Theater soll bewegen, es führt in die Tiefe des menschlichen Erlebens, das Intensive ist wichtig: Sterben ist auch Leben. Man muss da nicht hysterisch reagieren, aber man kann die Trauer zulassen, darin entdecken, was kommt. Jeder reagiert anders, wenn er einen Sterbenden begleitet: Der eine weint, der andere versucht, die Situation mit Witzen zu überspielen. Aber alles in allem ist es ein reicher Moment. Und der Reichtum im Leben ist doch, das alles zu leben und zu erfahren.

Forum Dunkelbunt: Warum legen Sie den Fokus darauf?

Sabine Krüger: Sich bewegen lassen heißt auch, sich verändern und vielleicht auch sich entwickeln. Erfahrung ist das, was den Menschen ausmacht.

Forum Dunkelbunt: Sie wollen sich ja auch ganz persönlich in die Arbeit einbringen. Wie können Sie sich das vorstellen?

Susanne Winnacker: Ich möchte Theaterpate werden, also ein Kind abholen, gemeinsam ein Stück anschauen, miteinander darüber reden. Ich verspreche mir davon, einen kleinen Freund zu finden, mit dem ich Sachen machen kann, die andere Erwachsene nicht machen: Zuckerwatte essen oder Pommes, einfach kindlichen Gelüsten nachgeben. Ich denke, das verdient keinen Heiligenschein, davon profitieren doch beide Seiten.

Forum Dunkelbunt: Wie?

Susanne Winnacker: Ich bin auch offen für alles, was Kinder zu fragen haben, das ist ganz wichtig: Man muss auch alle Fragen diskutieren ohne Zensiertheit. Das gilt gerade für die Geschwisterkinder: Die müssen so reifen vor der Zeit, davor habe ich großen Respekt. Denn Kinder, die immer zurückstecken müssen, geben das ja auch zurück: mit Wut oder Verbitterung. Da will ich auch Entlastung sein.

Sabine Krüger: Persönlich möchte ich gern auch eine Familie betreuen, im Schauspielhaus möchte ich als Vermittler zwischen dem Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Löwenzahn und dem Schauspielhaus Bochum weitere, neue Begegnungen und Projekte zusammenführen, die wir auf unserem Weg mit den Theaterpaten und unseren Workshops entdecken.

Interview: Irene Steiner

Weitere Infos:
www.ambulanter-kinderhospizdienst-bochum.de

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