Haus für Lebens- und Trauerkultur – AETAS das erste singende Bestattungshaus

Kann man das Bestattungswesen neu denken? Man kann. Nicole Rinder macht dies seit 2001 in dem Münchner Bestattungsunternehmen AETAS, das sie zusammen mit Florian Rauch leitet. Sie ist klein, zierlich und energiegeladen. Sie trägt ein farbenfroh geblümtes Kleid und drückt mit ihrer ganzen Person Lebendigkeit aus – herzlich willkommen in der Lebens- und Trauerkultur am Münchner Westfriedhof!

Raum für die Abschiednahme bei AETAS

Schon wenn man die Räume betritt, spürt man, dass hier ein anderer Geist weht: Lichtdurchflutete Zimmer, helles Holz. In den Räumen zur Abschiednahme darf man in einer Sitzgruppe Platz nehmen, oder auch auf einer dicken Yoga-Matte am Boden, wenn einem danach ist, mit den Fäusten auf den Boden zu trommeln. Sofort weiß man: Hier ist alles möglich, alles erlaubt. Das schafft Freiheit. Wer einen Raum bei AETAS bucht, um dort eine letzte Zeit mit dem toten Körper eines geliebten Menschen zu bringen, darf sich soviel Zeit lassen, wie es braucht. Hier wird nicht gedrängelt.

Die Trauerhalle von AETAS

Die hauseigene Trauerhalle ist ein großer, heller Raum, der so flexibel nutzbar ist, wie die Angehörigen dies brauchen. Es ist möglich, das übliche „Bühnen“-Setting zu verändern und stattdessen den Sarg in der Mitte aufzustellen und die Trauergäste drumherum sitzen zu lassen. Auch dies schafft andere Perspektiven.

Sarg selbst bemalen, Grabbeigaben, Tote selbst ankleiden

Das helle, freundliche Raumkonzept bildet den sichtbaren Rahmen für die respektvolle Begleitung der Angehörigen auf dem Weg des Abschieds. Nicole Rinder bietet Ideen an: „Meistens sage ich: Ich weiß ja nicht, ob es zu Ihnen passt, aber könnten Sie sich vorstellen, den Sarg selbst zu bemalen, den Toten selbst anzuziehen, Grabbeigaben hineinzulegen…?“

Es geht darum, einen persönlichen, individuellen Ausdruck für die Trauer zu finden. Hierbei möchte Nicole Rinder die Angehörigen unterstützen.

Das erste singende Bestattungshaus

Einen wichtigen Baustein des AETAS-Konzeptes bildet das umfassende Programm der „Trauerangebote“. Hier gibt es regelmäßige Trauersprechstunden, Wanderungen, Yoga oder Faszien Flow Training für Trauernde. Darüber hinaus ist AETAS das erste „singende Bestattungshaus“ und zertifiziertes Mitglied des Vereins „Singende Krankenhäuser – Internationales Netzwerk zur Förderung des Singens in Gesundheitseinrichtungen e.V.“ Denn die heilsame und befreiende Wirkung des Singens ist bekannt. Es erleichtert den Zugang zu unseren Emotionen, gleichzeitig öffnet es uns wieder mehr unserer Lebensfreude und unserer Kraft. Jeden Dienstag lädt das erste „singende Bestattungshaus“ zum gemeinsamen Singen einfacher Lieder aus aller Welt ein. Es sind Lieder für alle, die gerade eine Phase des Trauerns durchleben. Es sind Lieder, die man leicht mitsingen kann und die berühren.

Wie kam es zu der Idee?

Nicole Rinder im Gespräch mit Beate Schwedler vom Forum Dunkelbunt.

Wie kommt man auf die Idee, das Bestattungswesen so umfassend umkrempeln zu wollen? Nicole Rinder hat ihren Sohn vier Tage nach seiner Geburt verloren. Das war im November 1999. Danach war ihr Leben ein anderes. Sie suchte einen Weg, mit diesem Verlust weiterzuleben, setzte sich intensiv auseinander mit dem Thema Tod und Trauer – wollte wissen, wie man so etwas überleben kann. Las Bücher, sah Filme, machte das Trauerumwandlungsseminar bei Jorgos Canakakis: „Das war für mich richtungsgebend, denn ich stellte fest, dass Trauer meist gar keinen Platz hat in unserem Leben.“

Bis dahin hatte sie als Arzthelferin an der Rezeption eines Gynäkologen gearbeitet. Jetzt stellte sie fest, dass es weder Geburtsvorbereitungs- noch Rückbildungskurse gab für Mütter, deren Kinder sterben werden. Sie absolvierte eine entsprechende Ausbildung und bot so etwas an. Und schließlich kam sie weiter zusammen mit Florian Rauch, der ihren Sohn bestattet hatte und nun gerade sein Bestattungsunternehmen in München gründete. Florian Rauch wollte anders arbeiten, als nur Sterbehemden und teure Särge zu verkaufen. Im Juni 2001 stieg Nicole Rinder mit ein.

Trauerkultur dient dem Leben

Gemeinsam entwickelten sie über die Jahre ihr einzigartiges, unverwechselbares Konzept der „Lebens- und Trauerkultur“ – was schon sprachlich klarmacht, dass es hier um etwas anderes geht als bei einem „Bestattungshaus“, nämlich nicht nur um die Abwicklung eines Sterbefalls. Dass die Lebenskultur als erste genannt wird, hat ihren Grund. Denn es sind ja immer die Lebenden, die mit dem Tod eines nahen Menschen umgehen müssen. Es geht um das Leben danach.

Nicole Rinder (Foto: Sigrid Bathke)

„Man muss ja weiterleben mit dem Tod und da kann man Menschen verschiedene Dinge anbieten“, erläutert Nicole Rinder das Konzept. Anfangs lag ihr Einsatz bei den Fällen, in denen Kinder verstorben waren. Dann kamen andere „schwierige“ Fälle dazu. Bei den Kinderbestattungen boten sie von Anfang an, den Sarg selbst zu bemalen. „Dann haben wir überlegt, dass dies auch bei Abschiednahmen von Erwachsenen schön sein könnte“, erzählt sie. Das Selbstbemalen des Sarges ist heute selbstverständliches Angebot bei AETAS. Wobei vor den technischen Fragen als erste eine ganz andere kommt, nämlich die danach, was für ein Mensch der Verstorbene gewesen ist. „Manche Angehörigen stutzen dann, aber es ist für sie natürlich doch wichtig und schön, von ihrem Vater, ihrer Schwester oder ihrer Frau zu erzählen.“

Trauer kann krank machen, wenn ich sie nicht zulasse

„Trauer ist für mich ein wichtiger, notwendiger Ausdruck von einem Verlust“, sagt Nicole Rinder. „Trauer ist keine Krankheit, was ja leider viele oft denken, kann aber krank machen, wenn ich die Trauer nicht zulasse.“ Es geht darum, Gefühle zuzulassen, den Gefühlen Raum geben zu dürfen – auch denen, die man sich nur ungern gestattet.

Der Abschied am offenen Sarg – von Angesicht zu Angesicht

Das wichtigste Ritual in den Tagen zwischen Tod und Beerdigung ist für Nicole Rinder das Ritual des Abschieds von dem Verstorbenen. Es ist der Dreh- und Angelpunkt der Trauer: der Abschied am offenen Sarg, von Angesicht zu Angesicht. „Wir erleben immer wieder, dass sich die Angehörigen zunächst dagegen sperren,“ schreibt Rinder in ihrem Buch „Das letzte Fest“, „weil dieses Wiedersehen große Ängste auslöst, Angst vor zu starken Gefühlen, Angst, den Anblick des Verstorbenen nicht ertragen zu können, und auch Angst vor dem eigenen Tod.“

Nicole Rinder möchte den Angehörigen dabei helfen, den Tod auch körperlich zu be-„greifen“ – durch einen Abschied vom toten Körper. Wenn der Zeit braucht, braucht er Zeit. Früher starben die Menschen zuhause, waren drei Tage aufgebahrt – die Zeit für den Abschied gab es somit auf ganz natürliche Weise. Heute muss dieser gewünscht und möglich gemacht werden. AETAS fördert dies.

Erfahrungen in Buchform gegossen

Das AETAS-Konzept kommt gut an. Wer heilsame Begleitung und heilsame Rituale wünscht rund um den Abschied von einem Verstorbenen, sucht das Abschiedshaus am Münchner Westfriedhof auf. Nicole Rinder hat Bücher geschrieben über ihre Erfahrungen, die sie in den Jahren sammelte. Die sind ausnahmslos alle lesenswert – für Bestatter sowieso, aber auch für alle Menschen, die sich mit dem Thema Abschied befassen möchten.

In weiteren Beiträgen werden wir im FORUM DUNKELBUNT über den Umgang mit Kindern bei einem Todesfall und auch die Abschiednahme von verstorbenen Kindern schreiben – hierzu hat Nicole Rinder ebenfalls interessante Ansätze.

Text: Beate Schwedler
Fotos: Sigrid Bathke

Weitere Infos

www.aetas.de

Nicole Rinder:
Der Tod bringt mich nicht um
Warum ich Bestatterin geworden bin
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Nicole Rinder / Florian Rauch:
Das letzte Fest
Neue Wege und heilsame Rituale in der Zeit der Trauer
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Nicole Rinder / Florian Rauch:
Damit aus Trauma Trauer wird.
Weiterleben nach dem Suizid eines nahestehenden Menschen
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