Buchtipp: Kurze Geschichte einer langen Nacht

Albert – 56 Jahre alt , Lehrer und Norweger wie der Verfasser Jostein Gaarder – erhält eine niederschmetternde Diagnose. Er wird bald alle willentlich zu steuernden Muskelkräfte nicht mehr beherrschen, völlig hilflos sein und dann auch sterben.

Er fährt in das Ferienhäuschen der Familie, ein rotes Holzhaus am See, das der Familie viel bedeutet und wo er und seine Frau ein Paar geworden sind. Er will allein sein, den Blick in die Natur haben, er will nachdenken und aufschreiben, was ihm alles durch den Kopf geht. Das macht er einerseits für seine Familie, denn er will kein Geheimnis mit ins Grab nehmen und erst recht keine Lüge; aber er macht das  auch für sich selbst. Und das, was er da ins Hüttenbuch schreibt, das  lesen wir, die Leser, nun sozusagen.

Wir lesen seine Liebesgeschichte, aber auch von einer Ehekrise, von seiner Jugendliebe – die Ärztin, die ihm die Diagnose mitgeteilt hat – und dass er einmal mit ihr fremdgegegangen ist. Er schreibt aber auch von seiner Leidenschaft, der Astrophysik und den irdischeren Interessen seiner Frau, nach der sogar eine Algenart benannt ist. Auch sein Sohn, seine Schwiegertochter und seine Enkelin sind ihm sehr wichtig und finden Erwähnung.

Am Ende des Tages, als er sich alles von der Seele geschrieben hat, beschließt er, die Krankheit und das Leiden nicht auf  sich zukommen lassen zu wollen und sich das Leben zu nehmen. Hier und jetzt will er sich im See ertränken. Aber dann kommt es zu einer Wende und einer denkwürdigen Begegnung, die nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint.

Es kommt ein ihm fremder Mann auf ihn zu, spricht ihn mit seinem Namen an, ahnt wie ihm zumute ist und weiß von Ereignissen, die er eigentlich gar nicht wissen kann. Der Fremde spricht ganz ruhig und gelassen, aber auch fest und sehr direkt  – eigentlich schonungslos – mit ihm. Sowohl Albert als auch die Leser wissen nicht, was sie davon halten sollen. Es wird aber nun nicht etwa esoterisch, sondern es gibt eine ganz und gar weltliche und vernünftige Erklärung für dieses Gespräch. Denn es gibt Menschen, die sich um ihn kümmern, ihm helfen und ihm Mut machen wollen. So fährt er gestärkt und getröstet nach Hause und will sich der Zukunft stellen.

Das ist natürlich nicht unbedingt realistisch und der ganze Prozess, alle die zu durchlaufenden Phasen sind stark verkürzt und vereinfacht wiedergegeben. Aber es handelt sich ja auch nicht um ein Sachbuch, sondern um einen Roman oder – siehe Untertitel – eine „kurze Geschichte“. Und wenn man Menschen in solchen Situationen helfen will, kann man dieser Geschichte durchaus einiges entnehmen.

Text: Jutta Seehafer

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Jostein Gaarder
Genau richtig
Die kurze Geschichte einer langen Nacht
Verlag dtv 2021, 124 S.
10,90 €

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