Rettungssanitäter: Rauchen und Schweigen

Wie schaffen es Rettungssanitäter eigentlich, das alles auszuhalten? Ganz einfach: sie rauchen und schweigen. Dirk Grieselmann hat einen wunderbaren Text über seine Arbeit als Rettungssanitäter in der ZEIT veröffentlicht:
„Fünf Jahre lang war ich Rettungshelfer im Krankenwagen. Unfälle, Gewalt, zertrümmertes Leben. Meinen Kollegen und mir half es, über all die Schicksale zu schweigen.

Kontakt für 30 bis 40 Minuten in höchster Not

Zwischen meinem 20. und meinem 25. Lebensjahr bin ich etwa 200 Menschen begegnet, von denen ich nicht wusste, ob sie am Tag darauf noch am Leben sein würden. Ich hatte sie zuvor nicht getroffen und traf sie auch danach nie wieder, nur in diesem schmalen Zeitraum von vielleicht 30 oder 40 Minuten, in denen sie sich in größter Not befanden: Sie waren vom Garagendach gefallen, mit der Hand in den Häcksler gekommen, angeschossen, vom Trecker überrollt, vom Hund gebissen oder vom Schlag getroffen worden, asthmatisch, tachykard, komatös, mit dem Auto verunglückt oder in eine Schlägerei geraten. Einem hatte jemand in einer Dorfdiskothek mit bloßen Fäusten den Schädel zertrümmert, einen Teil der Atemluft sog der Verletzte nun in einen Hohlraum seines Oberkiefers. Ein anderer hatte seinen Tresor aufschweißen wollen, weil er die Kombination nicht mehr kannte, darin lagerte allerdings neben dem Familienschmuck, warum auch immer, jede Menge Schwarzpulver. Als ich ihm für jene schicksalhafte halbe Stunde begegnete, sah sein Gesicht aus wie eine abgebrannte Taufkerze. Er blickte mich aus brauen- und wimpernlosen Augen an und nannte mich „Jesus Christus“.

Dabei war ich nur Rettungshelfer beim Roten Kreuz. Mein Arbeitsplatz war ein Krankenwagen, ich stand neben der Trage. Ich zog Spritzen auf, legte Druckverbände an, massierte Herzen. Manchmal hielt ich Hände. In einem der Schränke befand sich ein Teddybär in Plastikfolie. Für den Fall, dass einmal ein Kind auf der Trage liegen sollte…“
Quelle: Die Zeit. 10.04.2018; Dirk Grieselmann
Foto: Pixabay

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