Bestattet unter Bäumen – Interview mit Dr. Julia Kaiser

Bestattungen ohne Grabpflege werden aktuell sehr oft nachgefragt. Das hat mit unseren modernen Lebensformen zu tun, aber auch mit gewandelten Wertvorstellungen. Dr. Julia Kaiser hat ein Buch hierzu veröffentlicht, zu dem sie uns ein Interview gab:

Frage: Immer mehr Menschen entscheiden sich aktiv und selbstbestimmt für eine Baumgrabstätte. Seit geraumer Zeit ist dies sogar die beliebteste moderne Bestattungsart in Deutschland. Woran liegt das?

Dr. Julia Kaiser: Die Wald- und Baumbestattung wird hierzulande als moderne, zeitgemäße Bestattungsart aufgefasst. Dies liegt u.a. daran, dass die Wald- und Baumbestattung keinerlei Grabpflege mit sich zieht. Die Hinterbliebenen werden somit von jedweder Arbeit und Verpflichtung entbunden. Man fällt nach dem Tod niemandem zur Last. Gerade dieser Aspekt ist heute für viele Menschen sehr wichtig.

Frage: Was bedeutet der Wald den Deutschen?

Dr. Julia Kaiser: Die Deutschen und der Wald verbinden eine über Generationen gewachsene gemeinsame Geschichte. Man entsinne sich den unzähligen Gemälden und Gedichten der Romantiker, den Märchen der Gebrüder Grimm, worin der Wald zumeist den zentralen Handlungsort bildet, der Waldvolkpropaganda der Nationalisten und später der Nationalsozialisten, der Welle an Heimatfilmen, die im Nachkriegsdeutschland in den Kinos zu sehen waren oder aber der Waldsterben-Debatte, die in den 1970er und 1980er Jahren die deutschen Medien beherrschte. Noch immer ziert Eichenlaub unsere Geldmünzen.

All das, hat tiefe Spuren in der deutschen Geschichte hinterlassen.

Der Wald ist ein Stück deutsches Kulturgut, ein Stück Heimat, ein Identität stiftender Ort, mit dem sich viele verbunden fühlen, auch wenn tatsächlich die wenigsten Menschen regelmäßig einen Wald besuchen. Doch darum geht es nicht. Der Wald ist oftmals eine Imagination, ein Sinnbild für etwas Schönes, Unverfälschtes, Natürliches, Beständiges, etwas typisch Deutsches. Wie der reale Wald dabei aussieht, in welchem Zustand sich dieser befindet, wird dabei gern zur Nebensache.

Die emotionale Ebene des Waldes wird auf die Wald- und Baumbestattung übertragen, verleiht dieser an besonderer Attraktivität.

Frage: Was hat die demografische Entwicklung damit zu tun?

Dr. Julia Kaiser: Während die Geburtenrate zurückgeht, steigt gleichzeitig der Anteil älterer Menschen in Deutschland stetig an. Mit zunehmendem Alter wird es für viele aufgrund von Krankheiten und/oder Immobilität schwierig, eine Grabstätte ganzjährig zu pflegen. Da die Grabpflege bei einer Wald- und Baumbestattung entfällt, kommt dies der gegenwärtigen demografischen Entwicklung entgegen.

Gleichzeitig scheinen aber viele junge Menschen zu vergessen, dass sie nicht auf ewig jung und mobil bleiben. Viele Wälder sind an den öffentlichen Nahverkehr nicht angeschlossen, befinden sich außerhalb der Ortschaften und können somit nur mit dem PKW erreicht werden. Hinzu kommt, dass viele Grabstätten inmitten des Waldes, fernab der Hauptwege zu finden sind. Die Menschen, die sich für eine Grabstätte im Wald entscheiden, sollten sich im Vorfeld im Klaren darüber sein, dass der Tag kommen kann, an dem sie körperlich nicht mehr in der Lage dazu sind, den Grabplatz aufzusuchen.

Frage: Was haben gewandelte Wertvorstellungen damit zu tun – was wandelt sich bei den Werten?

Dr. Julia Kaiser: Heute stehen Individualität und Selbstbestimmung an oberster Stelle. Statt vorgegebenen religiösen Werten und Normen zu folgen, kreieren immer mehr Menschen eine Art Patchwork-Religiosität, einen bunten Flickenteppich aus verschiedenen religiösen, spirituellen wie auch weltlichen Versatzstücken und Vorstellungen.

Während die Friedhöfe zumeist als direktes Einflussgebiet der Kirchen verstanden werden – ungeachtet dessen, dass nur ein Dritter aller deutschen Friedhöfe in kirchlicher Trägerschaft steht – gilt der Wald als religions-neutraler Ort, als Ort der individuellen Entfaltung und Freiheit.

Tatsächlich aber stehen mittlerweile sogar zwei FriedWald-Standorte in kirchlicher Trägerschaft. In zahlreichen FriedWäldern und allen RuheForsten findet man große Holzkreuze als zentrales Gestaltungselement der Andachtsplätze, die als Versammlungsort bei einer Trauerfeier im Wald genutzt werden können.

Auch greifen viele Menschen auf ein christliches Symbol auf den Namenstafeln, die optional am Bestattungsbaum angebracht werden, zurück. Die Menschen möchten frei sein, nach eigener Überzeugung entscheiden, ohne sich ganz von alten Praktiken und Traditionen lösen zu können.

Auch familiäre Werte haben sich verschoben. Familien sind kleiner geworden. Der Herkunftsort ist nur noch selten der spätere Wohnort. Die Menschen leben z.T. weit voneinander entfernt, sind so mobil, wie nie zuvor. Zudem haben heutzutage oftmals Freunde oder Vereine einen enorm hohen Stellenwert im Leben der Menschen.

Im Wald besteht u.a. die Möglichkeit, einen sogenannten Freundschaftsbaum zu erwerben, an dem 12 Personen beigesetzt werden können. Auch Vereine greifen auf diese Möglichkeit zurück. So kann über den Tod hinaus das zu Lebzeiten entstandene Zusammengehörigkeitsgefühl demonstriert werden.

Wie bereits angeklungen ist, kommen die pflegefreien Grabstätten im Wald dieser Entwicklung ebenfalls deutlich entgegen. Zudem kann bei einer Wald- und Baumbestattung, anders als bei einer regulären Bestattung auf einem vorgeschriebenen Gemeindefriedhof, ein jeder Wald deutschlandweit wohnortunabhängig gewählt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einen bereits erworbenen Platz oder Baum an einem Standort, sowohl gegen einen anderen Baum als auch gegen einen anderen Standort entsprechend der gegenwärtigen Lebenssituation zu tauschen.

Frage: Die christlichen Kirchen werden manchmal noch nicht warm mit den Waldbestattungen – es gibt Geistliche, die sich weigern, dort eine Trauerfeier abzuhalten. Schadet dies den Baumbestattungen?

Dr. Julia Kaiser: Nein, viele Geistliche sind gegenwärtig sehr offen gegenüber der Wald- und Baumbestattung, begleiten Trauerfeiern und Beisetzungen im Wald. Man muss an dieser Stelle die Institution Kirche und die Geistlichen, die vor Ort in den Gemeinden arbeiten, getrennt voneinander betrachten.

Frage: Welche Auswirkungen hat die Wald- und Baumbestattung auf das Todesverständnis der Bevölkerung?

Dr. Julia Kaiser: Wie durch zahlreiche Interviews deutlich wurde, teilen viele Kunden und Interessenten die Vorstellung, nach dem Tod in irgendeiner Form im Kreislauf der Natur, im Grabbaum fort zu existieren. Die Bäume werden beim Besuch berührt, gar umarmt, gelten gewissermaßen als  Repräsentant des Verstorbenen.

Eine Bestatterin hat im Interview berichtet, dass bei einer Trauerfeier im Wald in Erinnerung an den Verstorbenen nicht nur von den Hinterbliebenen ein Bier getrunken wurde, sondern ebenso eines am Grabbaum vergossen wurde.

Eine Kundin erzählte, am Tag ihrer Hochzeit Zweige des Grabbaumes in den Brautstrauß einarbeiten lassen zu wollen, so dass die verstorbene Mutter bei der Hochzeit anwesend sein könne.

Diese Beispiele sollen nicht den Eindruck erwecken, dass ein jeder Kunde der Waldbestattung pantheistische, naturreligiöse Überzeugungen teilt. Der Großteil der Befragten beschrieb sich selbst vorrangig als Atheist, allenfalls als Christ. Dennoch lassen sich zumindest Tendenzen erkennen, die in eine naturreligiöse Richtung weisen, auch wenn dies den meisten Menschen selbst gar nicht bewusst sein dürfte.  

Interview: Beate Schwedler
Foto: Büchner-Verlag

Zur Person: Dr. Julia Kaiser

Dr. Julia Kaiser ist Kulturwissenschaftlerin. Sie hat an der Philipps-Universität Marburg Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaften im Bachelor- sowie Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft im Masterstudium studiert. An Letzteres schloss sie eine Promotion in Europäischer Ethnologie/Kulturwissenschaft an. Forschungsschwerpunkte der Autorin sind die Themenfelder Friedhofs- und Bestattungskultur, moderne Todesbilder und Todesvorstellungen sowie Mensch-Tier-Beziehungen.

Dr. Julia Kaiser
Bestattet unter Bäumen
Über den gegenwärtigen Wandel der deutschen Bestattungskultur
Büchner-Verlag Marburg
280 Seiten, 14,5 x 20,5 cm, Klappenbroschur
ISBN 978-3-96317-242-7 (Print)
28,00 € (Print)
ISBN 978-3-96317-780-4 (ePDF)
22,00 € (ePDF)

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