Domian: „Ungeheures Tabu, darauf liegt ein Bannfluch!“

Jürgen Domian hat ein neues Buch geschrieben, „Dämonen“. Die Stille und der Tod, das sind seine Themen – mit Hansens Geschichte geht er ihnen auf den Grund. Es ist die Geschichte eines angekündigten Suizids. Dies wirft auch für Dunkelbunt ein paar Fragen auf, die Domian hier beantwortet:

Dunkelbunt: Sie sind ja bekannt dafür, keine Tabus zu kennen im Umgang mit allen möglichen Themen und niemanden wegen seiner Wünsche oder Bedürfnisse zu verurteilen – und seien sie noch abstrus in den Augen der anderen. Könnte man sagen, Sie muten uns jetzt zu, zu respektieren, dass jemand nicht mehr leben will?

JÜRGEN DOMIAN ©WDR/Annika Fußwinkel
JÜRGEN DOMIAN
©WDR/Annika Fußwinkel

Domian: Ja! Mein Protagonist Hansen stellt sich die Frage: Muss man leben, nur weil man lebt? Der Suizid ist ein ungeheures Tabu, auf ihm liegt ein Bannfluch. Dahinter steckt die zweitausendjährige Stigmatisierung durch das Christentum. Hansen ist des Lebens satt und müde und will einfach nicht mehr. Wäre es unheilbar krank, so könnte er auf Verständnis hoffen, so aber kaum.

Dunkelbunt: Warum ist Suizid – bzw. die Akzeptanz der anderen – für Sie ein so wichtiges Thema?

Domian: Dahinter steckt die Sehnsucht nach einem freien und selbstbestimmten Leben. Seit Jahren kämpfe und werbe ich für die Legalisierung des assistierten Suizids. Ich finde, die Hilfe zu Selbsttötung könnte die letzte palliativmedizinische Maßnahme sein. Natürlich auf der Basis strenger gesetzlicher Regelungen. Wenn das Leid zu groß ist, wenn die Schmerzen unerträglich sind, wenn sich ein Mensch in der finalen Phase einer schweren Erkrankung befindet, sollte er sagen dürfen: Erlöst mich, schenkt mir den Tod! Konservative Kreise und besonders die Kirchen haben eine Liberalisierung der Sterbehilfe bisher verhindert.

Dunkelbunt: Hansen macht sein Beruf keinen Spaß mehr und die Menschen langweilen ihn, ja stoßen ihn ab. Genau dies ist für die zurückbleibenden Angehörigen ja das Hauptproblem nach einem Suizid – sie fragen sich, ob die Beziehung, die sie zu demjenigen hatten, so „schlecht“ oder nichts wert war. Ist ein Suizid in dieser Hinsicht nicht vor allem ein Beziehungsproblem?

Domian: Wenn jemand wohl überlegt den letzten Schritt freiwillig geht, sollte er seinen Hinterbliebenen eine Nachricht, einen Brief, eine ausführliche Erklärung hinterlassen. Nur so ist es möglich, sie von Schuldgefühlen zu befreien. Aber – nicht das wir uns missverstehen! Ich rühre nicht die Werbetrommel für den Freitod. Ich möchte nur, dass Menschen moralisch nicht verurteilt werden, die sich für diesen Schritt entscheiden. Wobei natürlich klar ist, dass den meisten Betroffenen durch seelischen Beistand oder durch psychologische Betreuung in dem Sinne geholfen werden kann, dass sie wieder Freude am Leben finden. Hansen repräsentiert eine Minderheit. Er will keinen Psychologen und kein Psychiater der Welt könnte ihn erreichen.

Dunkelbunt: Die Figur Hansen aus Ihrem Roman fühlt sich getrennt von anderen – lebt in einer gewissen Einsamkeit. Man könnte sich ja durchaus einen Menschen vorstellen, der von den meisten anderen gemieden wird und der deshalb einsam ist. Ihr Hansen ist aber jemand, von dem andere durchaus etwas wollen – sein Sohn, sein Freund – seine Einsamkeit ist selbst gewählt; er selbst trennt sich ab, indem er z.B. nicht offen mit seinem Sohn spricht. Ist es besser für uns, wenn wir diese Autonomie der Selbst-Abtrennung respektieren?

Domian: Natürlich ist der sich von der Welt und den Menschen Abwendende zu respektieren. Viele Heilige und Weise haben so gelebt. In Klöstern, in den Wüsten oder tief in den Wäldern.  Trifft ein Mensch eine große und für ihn existentielle Entscheidung abgekehrt von der Welt und den anderen, so ist diese zumeist von großer Ernsthaftigkeit geprägt.

Dunkelbunt: Hansen geht freiwillig in die Einsamkeit, flieht vor den Menschen und den Beziehungen. Bedeutet diese selbstgewählte Einsamkeit womöglich schon den Tod?

Domian: Keineswegs. Wobei Hansen es auf die Spitze treibt. Er geht wirklich tief hinein die Einsamkeit. Er zieht sich in ein Blockhaus zurück, das abgelegen in der lappländischen Wildnis steht. Dann beginnt der Kampf gegen seine Dämonen. Wer diesen Kampf gewinnt, sieht das Leben. Wer ihn verliert, ist des Todes. Nur in der Stille kann dieser Kampf entschieden werden. Über dem ganzen Buch kreist die Frage: Wird er sich wirklich töten – oder nicht? Übrigens: Das Bild des Dämonenkampfes in der Stille ist ja uralt. Jesus geht in die Wüste, und der Satan versucht, ihn zu verführen.

Dunkelbunt: Sie haben – in einem anderen Buch – ja bereits den Tod interviewt und hier einiges zum möglichen Leben nach dem Tod herausgearbeitet. Was meinen Sie, welche brennende Frage (oder Antwort) hätte Ihr Interviewpartner Tod beim Lesen von Hansens Geschichte?

Domian: Der Tod fragt nicht, er handelt nur.

 

Jürgen Domian
Dämonen. Hansens Geschichte.

Die Geschichte eines angekündigten Todes.
Gütersloher Verlagshaus.
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 192 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, € 17,99 (Kindle-Edition € 13,99)
ISBN: 978-3-579-08691-0

 

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1 Kommentar

  1. Vor kurzem bin ich hier vorbeigeschneit und habe mich sehr darüber gefreut….
    Auch ich finde es wichtig, dass man über die Themen redet im Leben und sie nicht
    ausblendet und finde es bereichend, dass es diesen Blog gibt..

    Vielen Dank Euch beiden für das tiefgehende, ehrliche Interview!

    Liebe Sonntagsgrüße
    von Monika*

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