Trendwende erkennbar: Die Messe „Leben und Tod“

Kommt, Leute, wir nehmen dem Tod jetzt ein Stück seiner Macht….Was auf der Messe „Leben und Tod 2018“ in Bremen hier und dort als Subkontext spürbar gewesen ist, könnte eine gesellschaftliche Trendwende andeuten. Gerne veröffentlichen wir hier den Nachbericht zur Messe von Thomas Achenbach. Er schreibt mehr aus gefühlter denn erlebter Perspektive und dazu, warum man sich bald einen Bestatter suchen sollte…

Foto: Thomas Achenbach

Es ist vielleicht noch keine Revolution, was da gerade im Gange ist – „aber eine Bewegung“, um es in den Worten des modernen Bestatters und Ex-Musikmanagers Eric Wrede zu sagen. Beweise dafür bot die diesjährige Messe „Leben und Tod“, die vergangenes Wochenende in Bremen stattfand, gleich mehrfach. Denn erstmals überhaupt waren auf der Messe mehrere Autorinnen sowie eine Bloggerin zu erleben, die eben nicht – wie 95 Prozent des Publikums – aus der Hospiz-, Palliativ- und Trauerbegleiter-Szene stammen (oder aus dem kirchlichen Umfeld), sondern aus dem ganz normalen Leben. So bewies die Messe im Jahre 2018 und in ihrem neunten Veranstaltungsjahr eindrucksvoll, dass eine zaghafte Bewegung in Gang gekommen zu sein scheint. Welche genau? Nun, vielleicht diese: Eine Rückeroberung.

Dieser blinde Fleck – der Tod

Ja, noch immer gibt es in unserer Gesellschaft diese Leerstelle, die der Tod darstellt. Diesen blinden Fleck, auf den wir nicht so gerne schauen mögen, also, die meisten von uns. Aber immer mehr Menschen spüren das Bedürfnis, dieses Feld nicht einem rein angstbesetzten Ausgeliefertsein zu überlassen, es mit mehr Gestaltungsmöglichkeiten auszustatten, sich davon nicht so überfahren zu lassen wie es unsere Gesellschaft jahrzehntelang getan hat. Sowohl in den beiden Lesungen der Buchautorinnen Anna Funck und Muriel Marondel als auch im Vortrag von Bloggerin Silke Szymura tauchten an verschiedenen Stellen die gleichen Erfahrungen auf: Dass man sich mehr (mit-) geteilte Erfahrungswerte mit den Themen Tod und Sterben gewünscht hätte, dass man allgemeine Ratgeber zum Umgang damit vermisst hatte (und deswegen selbst welche geschrieben hat), dass das Umfeld sich von einem abkehrt, wenn man mit diesen Themen konfrontiert ist, dass aber die Intensität des Lebens allgemein hochgefahren wird, wenn man einmal auch sein Ende erlebt hat. Sie sind nicht die Einzigen, die das so schildern, wie beispielsweise der Blog von Anja Pawlowksi – „Ein Stück untröstlich“ – zeigt (die übrigens auch auf der Messe anzutreffen war, jedoch als Gast, Grüße an dieser Stelle). Aber sie mischen sich mit hinein in einen Chor, der zwar noch im Piano singen muss, aber immerhin das Pianissimo längst hinter sich lassen konnte. Denn dass sich langsam etwas ändert in der allgemeinen Wahrnehmung von Tod und Sterben, das zeigen alleine schon die Cover der oben erwähnten neuen Bücher.

Schwungvolle Schreibschrift, Glück und positives Denken

Foto: Messe Leben und Tod

Schwungvolle Schreibschriftvarianten und in Grün oder Lila getauchte Farbwelten, wie man sie sonst eher aus der Bloggerszene kennt – aus den Bereichen Glück und Lebensgestaltung, positives Denken und Persönlichkeitsentwicklung -… Soviel intensive Lebenszugewandtheit war noch nie auf Büchern, die sich ja eigentlich mit Tod und Trauer beschäftigen. Es wird nicht alleine daran liegen, dass beide Autorinnen noch sehr jung sind (geboren 1980/1985). Tatsächlich geht zumindest die auch mal als RTL-Reporterin arbeitende und sich selbst als „Fernsehtante“ bezeichnende Anna Funck in ihrem Buch „Mama ist tot, und jetzt?“ einen gänzlich neuen Weg: Fast flappsig und immer irgendwie quirlig berichtet sie von den Tiefen, durch die sie nach dem Tod ihrer Mutter geschritten ist. Sterben und Trauer mehr so aus der Prosecco-Sicht des Lebens, wenn auch ganz ehrlich und offen geschildert – das geht manchem im Publikum doch ein bisschen zu weit. Die ebenfalls als Journalistin arbeitende Muriel Marondel bietet die Alternative an: In ihrem sehr intimen Lebensbericht lässt sie die Zuhörer teilhaben an den Panikattacken, an ihrem Ausgeliefertsein an all die Ohnmächte, die sie doch so gerne und so lange „im Griff“ haben wollte. Bis diese dann sie im Griff hatten. Dass das alles normal sein kann und dass es zur Trauer einfach dazugehören kann, sogar die Panik – „ja, das habe ich doch gar nicht gewusst“, erzählt die Autorin zwischendurch. Und erntet verständnisvolles Nicken von einem Publikum, das solche Berichte natürlich kennt und schätzt, weil es sich in seiner Haltung und seiner Bedeutung bestätigt sieht (also, äh, ja klar: ich auch). Ein weiterer wichtiger Aspekt, den die Messe mehrfach ins Bewusstsein spülte: Wie sehr der Tod einen auch in die Eigenverantwortung hineindrängt.

Der Tod drängt zur Eigenverantwortung

Es war die Familien-Trauerbegleiterin und Buchautorin Mechthild Schroeter-Rupieper (mit ihrem eigenen Stand so etwas wie ein kleines Epizentrum der diesjährigen Messe), die in ihrem Vortrag auf diesen Aspekt hingewiesen hatte. Ihr Tipp an alle lautet: Kümmert euch am besten zu Lebzeiten um einen passenden Bestatter für Euch und für Eure Lieben, lotet vorher aus, was ihr Euch wünscht und was das Bestattungsinstitut alles mitmachen sollte und sucht Euch dann eines, was das mitzumachen auch bereit ist. „Ich wünsche mir ein Bestattungsinstitut, das beim Ankleiden hilft“, sagte sie, beispielsweise. Warum man sich nicht rechtzeitig und ohne jede Todesandrohung um diese Dinge kümmern sollte, leuchte ihr nicht ein: „Wenn ich ein Kind bekomme, suche ich ja auch lange vorher schon die Klinik aus, da gehe ich nicht einfach zur nächstbesten, wenn es soweit ist…“. Auch der Bestatter Eric Wrede argumentierte bei der die Messe abschließenden großen Podiumsdiskussion mit Moderatorin Bärbel Schäfer in eine ähnliche Richtung…

Hospizkultur hat viel verändert

„Es wird keine Eigenverantwortung hinsichtlich des Todes übernommen – aber wenn ich möchte, dass ich nicht bei einem Bestatter lande, der die Oma mit vollen Windeln in den Sarg schmeißt, muss ich mich vorher darum kümmern“, sagte Wrede, der den spannenden Lebensweg von einem Musikmanager bei Universal (Abteilung: A & R, für die Auskenner) zum modernen Bestatter mit eigenem Institut gegangen ist. Und er sprach in diesem Zusammenhang auch den bereits zitierten Satz: „Es ist noch keine Revolution, aber eine Bewegung.“ Dass sich so langsam ein gesellschaftlicher Wandel einstellt, hat auch Mechthild Schroeter-Rupieper festgestellt, aber ihr Votum hierzu ist eindeutig: „Die Hospizkultur hat schon viel verändert“, sagte sie, „aber es reicht noch lange nicht aus!“. Doch worin sich alle einig sind: Es ist noch viel Aufklärung nötig, es ist aber auch vieles bereits im Gang. Interessant übrigens, dass die Bremer Messe jetzt auch viel prominente Unterstützung aus Bereichen erhält, die ebenfalls nichts mit Hospizkultur zu tun haben. Das ließ sich beim Autofahren besonders gut beobachten. Wobei das mit Fahren meist eher wenig zu tun hatte.

Schicke Testimonials

Foto: Thomas Achenbach

Denn die Stop-and-Go-Heimfahrt durch den dicksten Bremer Stadtautobahnstau am Freitagabend gab einem immerhin die Möglichkeit, an mehreren Stellen die schicken neuen Testimonial-Plakate bewundern zu können, mit denen die Messe jetzt auf sich aufmerksam macht: Ben Becker oder Bärbel Schäfer, Thomas Schaaf oder Henning Scherf machen mit markanten Aussagen klar, wie zerbrechlich unser Leben doch sein kann. Auf der Messe selbst findet man die Plakate auf den das kommunikative Zentrum der Messehalle umzäunenden Holzlatten. Sehr gelungen. Und dennoch: Nächstes Jahr bleibe ich gleich eine Nacht oder zwei Nächte in Bremen. Denn auch die A1 nach Hause ist am Freitagabend von so manchem Stau so vollgestopft, dass ich noch wenige Kilometer vor dem Nachhausekommen wieder ausgebremst werde. Als ich beim Umfahren des Knotenpunktes einmal sträflich unachtsam bin und nur eine kurze Strecke von Daheim entfernt einem anderen Autofahrer die Vorfahrt nehme, erschrecke ich mich über meine eigene Schusseligkeit. Und darüber, wie schnell so etwas geschieht. Einen Minisekundenbruchteil unachtsam und beinahe — Bämm…! Wäre vermutlich nur Blechschaden gewesen. Aber viel davon. Und dabei muss es ja nicht immer bleiben in so einer Situation. Denn das Leben ist zerbrechlich. Und ich habe noch keinen Bestatter. Wird Zeit, das zu ändern – schon jetzt. Auch das eine Erkenntnis der diesjährigen „Leben und Tod“.


Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier.

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