Persönliche Geschichten aus der Kriegszeit beim Spaziergang über den Ausländerfriedhof

Wie schwer es immer noch ist, über die Zeiten des Krieges zu sprechen und vor allem über das, was die Menschen an Schuld und Angst auf sich geladen, aber oft nicht verarbeitet haben, spürten die Teilnehmer des Spaziergangs über den Ausländerfriedhof am Sonntag, 30. Juni 2019.

Gleich am Anfang empfangen viele einzelne weiße Erinnerungsbändchen an die hier Beerdigten den Besucher – eine Aktion vom Kirchentag 2019.

Schon zu Beginn der Runde wird klar:  Die Wenigsten kennen den Ausländerfriedhof, außerhalb des Hauptfriedhofes Dortmund gelegen und doch ein wichtiger Teil davon. Der jüdische Teil des Hauptfriedhofs bildet ein abgesondertes Areal westlich des eigentlichen Friedhofs, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Hier erinnert ein Mahnmal an die im Holocaust ermordeten jüdischen Bürger der Stadt.

Auf diesem Teil des Friedhofs, auch Ausländerfriedhof genannt, ruhen weitere 5698 Kriegstote. Es handelt sich um Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Ausländer, die in Einheiten der Wehrmacht gekämpft haben. An die 5095 Sowjet-Soldaten erinnert ein Ehrenmal. Auch an 243 polnische und 106 jugoslawische Zwangsarbeiter erinnern zwei gesonderte Ehrenanlagen.

Ehrentafel für die gefallenen Polen auf dem Ausländerfriedhof in Dortmund.

Eine muntere Gruppe hatte sich zu diesem „Friedhofsspaziergang mit unverblümten Gesprächen über den Tod“ zusammengefunden. Untereinander kannten sich die wenigsten – umso schöner war es, dass alle das Angebot annahmen, über die persönlichen Erlebnisse in der eigenen Familie zu sprechen, soweit dies überhaupt möglich ist.

Denn fast immer haben die Väter, Mütter, Großeltern, die die Zeit des Nationalsozialismus miterlebten, vor allem eins getan: geschwiegen. Schuld und Scham lastete schwer auf ihnen und auch hierüber wurde viel gesprochen – in der Gruppe waren sich alle einig, dass es nicht um die Frage der persönlichen Schuld geht, aber sehr wohl doch darum, wie es hat geschehen können, dass Hunderttausende mitmachten und wie es zu der Verrohung hat kommen können.

Was hat diese Zeit heute noch mit uns zu tun? Darüber wurde auf dem Friedhofsspaziergang mit unverblümten Gesprächen über den Tod viel geredet.

„Mein Vater hat nachts geschrieen,“ erzählt einer und die Mutter sagte dann zu dem Jungen erklärend: „Dein Vater ist mit dem Flugzeug abgestürzt“. Als ob dies etwas erklärte…

Die Angst, der Schrecken, die schrecklichen Bilder, sie haben sich eingegraben in die Seele der Menschen, die dann Vater, Mutter, Großeltern wurden und die vor allem eins wollten: Dass ihre Kinder und Kindeskinder nichts mit diesem Schrecken zu tun haben müssen. Und doch macht sich ein diffuses Gefühl breit, dass etwas nicht stimmt, dass es etwas hinter dem Vorhang gibt.

In der Gruppe konnten natürlich nicht alle Fragen angerissen werden, aber doch spannte sich der ganze Bogen der möglichen Antworten wieder.

Zum einen gab es diejenigen, die es fast als Beleidigung empfinden, wenn von Schuld die Rede ist – sie sind doch selbst noch viel zu klein oder gar nicht auf der Welt gewesen – wie man da nur von Schuld sprechen kann.

Auf einer anderen Seite die, die meinen, die Frage nach der Schuld lenke nur ab von der Frage, die wirklich zähle, nämlich, wie es zu soviel Grausamkeit habe kommen können.

Und dann auch die, die durchaus Verständnis haben für die Vorfahren, die nicht anders wussten, mit ihren Schuldgefühlen umzugehen als zu schweigen.

Angesichts der vielen russischen und polnischen Grabsteine wurde auch erörtert, dass Deutschlands Rettung vor allem dem russische Heer zu verdanken ist.

Es gab soviel Stoff bei diesem Spaziergang, dass jetzt schon feststeht, dass das Thema weiter verfolgt wird bei den Friedhofsspaziergängen.

 

06.07.2019

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