Park oder Pietät – Wie läuft das auf dem Ostfriedhof?

Wie geht eigentlich Pietät? Mit dieser Fragestellung spazierten die Gäste über den Ostfriedhof und entdeckten, dass respektvolles Verhalten durchaus auch unterschiedlich bewertet werden kann. Sie sahen dabei beispielsweise das Grab einer 18-Jährigen, den jüdischen Friedhofsteil oder auch die Grabstelle eines Mitglieds der Bandidos. Die Gruppe war groß – 40 Personen trafen sich zu diesen „unverblümten Gesprächen über den Tod“ in wunderschöner Umgebung.

Großer Andrang beim Friedhofsspaziergang über den Ostfriedhof. Die 40-köpfige Gruppe sprach über die vielen Facetten von Pietät.

Unter Leitung von Beate Schwedler entdeckten die Besucher monumentale Gräber, eindrucksvolle Baumgruppen, die sich mit ihren Stämmen zur Sonne strecken, und wurden mit einigen Fragestellungen zur Pietät konfrontiert:

Einer der schönsten Friedhöfe Deutschlands

Das Grab einer berühmten Kochbuch-Autorin

Wir starten unseren Rundgang am Eingang des Ostfriedhofs und erblicken neben hochgewachsenen Bäumen das alte rotgekachelte Verwaltungshaus. Es beherbergt die Trauerhalle, die Verwaltung und ein Wohnhaus und steht, ebenso wie 100 weitere Grabstätten, unter Denkmalschutz. Der Dortmunder Ostfriedhof gilt, mit seinen zahlreichen historischen Denkmälern, als einer der schönsten Friedhöfe Deutschlands.

Gleich zu Anfang liegt auf der rechten Seite eines der ältesten Gräber des Friedhofs. Hier wurde 1876 Deutschlands wohl berühmteste Köchin, Henriette Davidis, begraben, die den Satz prägte: „Man nehme…“. Ihre Bücher stehen heute im Mittelpunkt des Deutschen Kochbuchmuseums im Westfalenpark. Der Westfalenpark ist den meisten Besuchern bekannt und wird als Freizeitgelände und Ausflugsziel fürs Wochenende genutzt.

Mehr Parkanlage oder mehr Friedhof?

Rufus begleitete den Spaziergang, denn Hunde sind angeleint erlaubt auf dem Ostfriedhof.

Doch wie ist es eigentlich mit dem Ostfriedhof, der auch gerne Ostpark genannt wird? Wir fragten uns: Ist er denn nun mehr Parkanlage oder eher Friedhof?

Der Dortmunder Ostfriedhof ist Friedhof und Freiraum zugleich. Neben den historisch bestehenden Denkmälern und Gruften, finden hier seit 1998 auch wieder reguläre Beisetzungen statt. Doch auch als Park erfreut er sich großer Beliebtheit.

Entlang schöner Baumbestände schlendern wir weiter auf dem Areal des knapp 16 Hektar großen Parkgeländes. Die Anlage wurde um 1912 in einen landschaftlichen Park verwandelt. Zahlreiche Gehölzgruppen und geschwungene Nebenwege laden heute für ein Stück Erholung im Grünen ein. Nicht nur von Joggern und Hundebesitzern wird der Ostpark genutzt, sondern auch von Familien und Paaren, die die durch die Gassen flanieren, um für einige Minuten dem Trubel der Großstadt zu entkommen. Es finden sich auch immer wieder geschichtlich interessierte Touristen ein, die den Park als eine Etappe der „Route der Industriekultur“ besichtigen.

Darf man auf der Wiese picknicken?

Wir fragen wir uns, ob es nicht respektlos sei, auf einem Friedhof zu picknicken, rumzuhängen oder zu chillen? Was bedeutet in diesem Zusammenhang überhaupt „Pietät“ und gibt es feststehende Normen für ein respektvolles Verhalten?

Grabstätte mit besonderem Namen

Dagmar Petzgen, Mitglied des Forums Dunkelbunt, begleitet die Gruppe und untermalt unsere Gedanken mit zahlreichen Anekdoten aus der Praxis. Sie arbeitet als Bestatterin und hat im Laufe der Jahre zahlreiche kuriose Geschichten erlebt. So sagt sie, sei es für die meisten zwar selbstverständlich, sich an einem Ort der Ruhe und Trauer angemessen rücksichtsvoll und mit gebotenem Respekt verhalten. Doch dieses Verhalten ist höchst persönlich und kann ganz unterschiedlich empfunden werden.

Der Rundgang führt uns vom Eingang des Ostfriedhofs durch großen Gassen vorbei an bemerkenswerten Denkmälern. Entlang der Hauptachse, die vom Haupteingang in Richtung Süden verläuft, zeugen historisch wertvolle und minutiös aufgearbeitete Grabstätten von einer glorreichen Zeit der Industrialisierung. Hier ruhen ehemals große Bürger Dortmunds, die die Stadt- und Wirtschaftsgeschichte wesentlich mitgeschrieben haben.

Beeindruckende Grabstätten, aber möchte man dort liegen?

Bekannte Dortmunder Persönlichkeiten und Ehegattinnen ruhen auf dem Ostfriedhof.

Unter ihnen befinden sich Grabstätten namhafter Bierbrauer, Buchverleger, Stahlkocher und Bergbaupionieren. In der Denkmalliste der Stadt Dortmund sind über 300 Grabmäler und Mahnmale des Ostfriedhofs als Baudenkmal geschützt. Darunter finden sich auch vom jüdischen Bildhauer Benno Elkan gestaltete Einzelgrabmäler.

Aber würden auch wir gerne in einer solch großen und monumentalen Familiengruft liegen wollen? Im Gegensatz dazu bietet ein Bestattungswald keine Abgrenzung durch Prunk: dort liegen alle gleich. Welche Gräber bevorzugen wir? Wie möchten wir einmal begraben oder beigesetzt werden? Auf die Frage, wer sich eine solch monumantale Grabstättewünschen würde, hob nur eine Besucherin die Hand.

Was ist erlaubt auf dem Grabstein?

Bereits heute gibt es eine große Anzahl unterschiedlicher Formen der Beisetzung und Verzierung von Grabsteinen. Es wurde diskutiert, was für Formen, Symbole oder Schriftzüge eigentlich erlaubt sind auf dem Grab – am Beispiel des Grabsteins, in den das Bandido-Logo eingraviert wurde.

Weiter geht es zum Denkmal der verstorbenen Grubenarbeiter des Schacht Kaiserstuhls aus dem 19. Jahrhundert. Immer wieder wurde der Schacht Kaiserstuhl von schweren Unglücken heimgesucht, wobei die schwerste Schlagwetterexplosion am 19. August 1893 in Schacht I insgesamt 62 Bergleuten das Leben kostete. 20 weitere Bergleute verloren ihr Leben bei einem zweiten Grubenunglück auf Schacht II am 22. Dezember 1897. Nachdem zur damaligen Zeit eine behördliche Genehmigung eingeholt wurde, hatte man auf dem Ostfriedhof ein Massengrab vorbereitet. Insgesamt wurden 48 Grabkreuze, die noch heute in einer Reihe stehen, auf dem Ostfriedhof aufgestellt.

Jüdischer Friedhofsteil

Beate Schwedler, Vorsitzende von Forum Dunkelbunt e.V. (Mitte) führte die Gruppe.

Am Ende der Tour befinden wir uns am südlichen Teil des Ostparks. In diesem Areal befanden sich schon damals die jüdischen Gräber, von denen bis heute noch sehr alte und gut erhaltene Grabstellen zu sehen sind.

Schon ab 1943 hatten die Nationalsozialisten keine jüdischen Bestattungen mehr auf dem Friedhof erlaubt. Während des zweiten Weltkrieges wurde der jüdische Friedhof durch Bombentreffer nahezu völlig zerstört.

Heute steht hier ein Mahnmal für die jüdischen Opfer des NS-Regimes. Es wird umarmt von einer Reihe mit Ketten verbundener Steine, die die Namen verschiedener Konzentrationslager tragen.

An dieser Stelle waren sich alle einig, dass beispielsweise Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Grabmälern eine Straftat sind. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Begriff von Pietät eben auch damit zu tun hat, wie man persönlich zu der Person oder dem gesellschaftlichen Thema steht. Je näher es einem selbst ans Herz geht, desto mehr ist einem respektvolles Verhalten wichtig.

Was ist, wenn die Luftballons in den Bäumen hängen bleiben?

Bevor sich die Gruppe langsam auflöst und die Runde über den Ostfriedhof beendet ist, entdecken wir in der Baumkrone einer Eiche leicht eingefallene rote Luftballons in Herzform. Wahrscheinlich wurden diese zeremoniell gen Himmel geschickt, um einer verstorbenen Person zu gedenken. Manch einer hat schon von weißen Tauben gehört, die bei einer Trauerfeier fliegen gelassen wurden.

Welche Trauerrituale gibt es und wie wird für gewöhnlich in unserer Heimat getrauert. Gibt es bestimmte Vorschriften und wie stelle ich mir – ganz persönlich – eine Zeremonie der Verabschiedung vor? Gewiss lässt sich sagen, dass die Meinungen so vielfältig sind, wie die Menschen auf unserer Erde. Jeder von uns hat eine ganz bestimmte Vorstellung vom Leben, vom Tod und von der Zeit danach.

Friedhofsspaziergänge mit unverblümten Gesprächen über den Tod

Spaziergänge auf einem Friedhof können uns betroffen und melancholisch stimmen. Sie können aber auch Spaß machen, zum Nachdenken anregen und sie können uns helfen Berührungspunkte abzubauen, wenn wir uns unserer eigenen Vergänglichkeit bewusstwerden.

Dagmar Petzgen konnte als Bestatterin viele Fragen der Gäste fachkundig beantworten.

Es war ein abwechslungsreicher Spaziergang in wunderschöner Umgebung, mit unverblümten Gesprächen über den Tod.

Die Friedhofsspaziergänge mit unverblümten Gesprächen über den Tod“ organisiert der Verein Forum Dunkelbunt e.V.. Dabei ergeben sich die sonst nur selten besprochene Themen wie von selbst.

     Text: Vincent Schnelle
Fotos: Birgit Lindstedt und Beate Schwedler

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