Geister sehen – Skurrile Ideen aus den Anfängen der Fotografie

In den Anfängen der Fotografie gab es einige Zauberkünstler und Geisterbeschwörer, die behaupteten, Geister und Tote sichtbar machen zu können. Saskia Ketz ist Fotografin, Kunstwissenschaftlerin und Sterbebegleiterin.  Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Dortmund. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit Abschiedsritualen und Fotografie. Das Thema der „Geisterfotografie“ faszinierte sie auch wissenschaftlich. Sie beantwortete uns einige Fragen hierzu:

Forum Dunkelbunt: Frau Ketz, Sie haben sich mit dem Phänomen der Geisterfotografie beschäftigt – was bedeutete dies eigentlich?

Saskia Ketz: Ja genau, als Kunstwissenschaftlerin forsche ich zu dem Thema Fotografie und Tod und dazu gehört auch das Phänomen der Geisterfotografie, das sich kurz nach der Erfindung der Fotografie entwickelt hat. „Geister“ zu fotografieren bedeutet, ein Foto zu schaffen, in dem Verstorbene Angehörige schemenhaft erscheinen und zusammen mit einer noch lebenden Person gezeigt werden. Wie auf dem Bildbeispiel von ca. 1871; hier wird das Portrait einer Frau mit der geisterhaften Erscheinung ihrer Tochter kombiniert.

Forum Dunkelbunt: Wie kam es zu den ersten Geisterfotos und was steckte dahinter?

Saskia Ketz: Die ersten Geisterfotos entstanden durch Zufall in dem Fotostudio eines amerikanischen Fotografen. Im 19. Jahrhundert entstand ein Foto durch die Belichtung und Fixierung von Glasplatten, die nicht reproduzierbar waren oder vervielfältigt werden konnten. Eine solche Platte wurde nun nicht richtig gereinigt und versehentlich doppelt belichtet, sodass sich zwei Motive übereinander auf der Platte befanden.

Der Fotograf William Mumler sah ein gewisses Potenzial in dieser Art der Darstellung, optimierte die Technik und setzte sie bewusst ein, um Familienportraits von bereits verstorbenen und noch lebenden Familienmitgliedern miteinander zu kombinieren. Durch eine kürzere Belichtungszeit konnten die verstorbenen Angehörigen schemenhaft und somit geisterhaft abgebildet werden. Aus heutiger Sicht mag das befremdlich erscheinen, im 19. Jahrhundert hingegen war die Einstellung zum Tod eine andere und dieser durch eine kürzere Lebenserwartung und hohe Kindersterblichkeit sehr viel gegenwärtiger und Teil des Lebens.

Forum Dunkelbunt: Warum waren die „Geister“ im Hintergrund der Portraits denn vorrangig verstorbene Angehörige?

Saskia Ketz: Heute leben wir in einer Zeit, in der wir sehr schnell und einfach fotografieren können und dies auch ständig tun. Jeder Mensch kann mit seinem Smartphone ganz spontan entscheiden, ob er eine Situation, ein Ereignis fotografieren möchte oder nicht. Dafür benötigt man nicht mal mehr eine Kamera. Das war natürlich nicht immer so!

In den Anfängen der fotografischen Technik wurde mit großen, unhandlichen Apparaten fotografiert, die Belichtungszeit betrug einige Minuten und die Fotografen waren an ihre Studios gebunden. Spontane Fotos, auch Familienfotos gab es nicht.

Saskia Ketz beschäftigte sich mit Geisterfotografie.

Es war also durchaus möglich, dass es von den verstorbenen Angehörigen überhaupt keine Fotos zu Lebzeiten gegeben hat, denn Fotografieren war mit einem großen Aufwand verbunden und nicht preiswert. Die Hinterbliebenen hatten also einfach den Wunsch, ein gemeinsames Foto mit dem oder der Verstorbenen zu besitzen.

Die Fotografien entstanden ja als Auftragsarbeiten, daher gab es auch keinen Grund, einen fremden Menschen im Hintergrund zu zeigen. Wobei nicht mit Bestimmtheit gesagt werden kann, dass es immer ein Verwandtschaftsverhältnis gegeben hat. (lacht)

Forum Dunkelbunt: Was bedeutet das?

Saskia Ketz: Die zweite Möglichkeit, ein solches Foto zu produzieren, bestand darin, dass eine Person im Hintergrund sich während der Aufnahme tatsächlich dort befunden hat, den fotografierten Bereich aber früher verlassen hat. Möglich war dies schon, denn die Belichtungszeiten dauerte einige Minuten, in denen die Person im Vordergrund sich nicht bewegen, also auch nicht umdrehen durfte, damit das Bild nicht verwackelt.

Forum Dunkelbunt: Aber die Menschen müssen doch erkannt haben, dass dort im Hintergrund jemand Fremdes abgebildet ist?

Saskia Ketz: Eigentlich schon. Es wurde vermutlich jemand mit gleichem Geschlecht bzw. Alter und ähnlicher Physiognomie ausgewählt, bei dem eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden war. Vermutlich wollten die Angehörigen einfach daran glauben, dass es sich um ihr Familienmitglied handelt. Der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge….

Forum Dunkelbunt: Dass Fotografie Geister beschwören kann, glaubten offenbar tatsächlich einige Menschen damals? Was sagt das über die Anfänge der Fotografie aus?

Saskia Ketz: Ja genau, die Themen Glaube und Okkultismus spielen dabei auf jeden Fall eine entscheidende Rolle. Aus heutiger Sicht können wir natürlich sehr einfach erklären, wie fotografische Technik funktioniert, um ein latentes Bild zu erzeugen.

Im 19. Jahrhundert war dies anders, denn bisher waren nur gezeichnete oder gemalte Portraits verbreitet. Das eigene Foto zu betrachten war faszinierend und beängstigend zugleich. Der Prozess zur Bilderzeugung war ja nicht sichtbar, sodass der Fotograf oft auch als Zauberkünstler oder Magier gesehen wurde, dem auch zugetraut wurde, längst Verstorbene sichtbar machen zu können. Vergleichbar ist dabei zum Beispiel die frühe fotografische Technik mit der eines Röntgengerätes. Beim Röntgen ist der spätere Bildinhalt ebenfalls vorher nicht sichtbar, aber an der Echtheit des Röntgenbildes wird und wurde nicht gezweifelt. Wenn schon das Röntgengerät Unsichtbares sichtbar machen konnte, warum nicht dann auch die Fotografie?

15.09.2019
Interview: Beate Schwedler

Über Saskia Ketz

Geboren 02.06.1982 in Duisburg
diverse Ausstellungen als Fotografin

UNIVERSITÄRER WERDEGANG

  • wissenschaftliche Mitarbeiterin am FB Design, FH Dortmund, seit 2019
  • Doktorandin im Fach Design und der Designwissenschaft, bei Prof. Dr. Pamela Scorzin, Fachhochschule Dortmund und Prof. Dr. Cordula Meier, Folkwang Universität der Künste, Essen, seit 2019 – Arbeitstitel: Kulturen des Todes – Zeitgenössische Rituale des Sichtbarmachens in Kunst und Design
  • Mitarbeiterin International Office, Koordination der Auslandsmobilitäten
    des FB Design, FH Dortmund, 2017-2019
  • Abschluss Master of Arts, Kunst-und Designwissenschaft, Folkwang Universität
    der Künste, Essen, 2012-2016, Thema der Masterthesis: Der Tod im Bild. Postmortem-Fotografie als Medium der Erinnerung

STIPENDIEN / FÖRDERUNGEN

  • Förderung der Stiftung Deutsche Bestattungskultur des Kuratorium
    Deutsche Bestattungskultur e.V., für Promotionsprojekt

VORTRÄGE

  • Der Tod im Bild. Postmortem-Fotografie als Medium der Erinnerung, ambulantes Hospiz Oberhausen, 2018
  • Friedhofsführung und -talk mit kunst- und kulturgeschichtlichem Schwerpunkt, historischer Altstadtfriedhof, Mülheim, 2018
  • Der Fotograf Henri Cartier-Bresson und die Fotoagentur Magnum, VHS Duisburg, 2015
  • Die Komik in der Fotografie, VHS Duisburg, 2015

OFF ACADEMIA

  • Ehrenamtliche Ausbildung zur Sterbebegleiterin, ambulantes Hospiz Oberhausen, seit 2019

 

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