Der Tod der Natur in den Vorgärten

Die Beschäftigung mit dem Tod lehrt, das Leben zu lieben. Die freiwillige Hinrichtung fast allen Lebendigen in manchen Vorgärten löst bei uns Bestürzung aus – und auch bei den (Mit-)Machern von „Gärten des Grauens“, einem Facebook-Projekt, das mit satirischen Mitteln der totgestaltenden Gartenkultur den Kampf angesagt. Dunkelbunt hat dem Initiator Ulf Soltau ein paar Fragen gestellt:

Die bescheidene Variante der ureigenen Hoffnung auf ein ewiges Leben besteht darin, seiner Nachwelt etwas Dauerhaftes und Unverrückbares zu hinterlassen…

Dunkelbunt: Wie sind Sie auf die Idee zu dem Projekt „Gärten des Grauens“ (GdG) gekommen?

Ulf Soltau: Ich selbst bin Botaniker und leidenschaftlicher Gärtner. Die Idee zu „GdG“ kam mir, nachdem ich auf so manche gärtnerische Grausamkeiten in Gartengruppen sozialer Netzwerke aufmerksam wurde.

 

Steinwüsten setzen sich in manchen Regionen vermehrt durch.

Ordnungswahn im Outdoor-Wohnzimmer

Dunkelbunt: Wie erklären Sie sich die freiwillige Hinrichtung allen Lebendigen in den Vorgärten?

Ulf Soltau:
So naturferne Gärten, wie wir sie auf GdG besprechen, kann ich nur über eine wachsende Entfremdung des Menschen von der Natur erklären. Mit dem allgemeinen Artenrückgang und der großräumigen Vernichtung naturnaher Grünflächen in Stadt und Land verschwindet offenbar auch der persönliche Bezug zur Natur und das Verständnis für Naturschutzbelange. Hinzu kommt ein pervertierter Ordnungswahn, der die Wohnungen niemals hätte verlassen dürfen, sich jetzt aber in sog. Outdoor-Wohnzimmern breit macht und selbst vor kleinsten Hinterhöfen und Gartenwinkeln nicht halt macht. Heute findet man eine größer Artenfülle auf vermüllten Bahndämmen, als in deutschen Vorgärten.
Stilmittel: Geometrie. Ziel: Naturbeherrschung.

„Ein Schottergarten macht mehr Arbeit als ein Naturgarten“

Dunkelbunt: Das Lebendige macht aber nun mal einen Haufen Arbeit, könnte man sagen – oder stimmt das vielleicht gar nicht?

Ulf Soltau: Offene, unbesiedelte Böden werden von der Natur früher oder später zurück erobert. Man nennt das natürliche Sukzession. Erst kommen kurzlebige Pioniergewächse, dann Gräser und Stauden, später standorttypische Sträucher und Büsche und noch später Bäume unterschiedlicher Arten. Um einen Garten in seiner Struktur über die Jahre zu erhalten muss der Gärtner mit diesem Naturgesetz arbeiten. Dazu sollte er die Ansprüche seiner eingesetzten Pflanzen und die biotischen und abiotischen Faktoren in seinem Garten genau kennen.

Unterschiedliche Pflanzenarten haben unterschiedliche Ansprüche an ihren Lebensraum. Ein Farn bevorzugt den feuchten Schatten, ein Lavendel mag eher trockene, nährstoffarme, aber sonnige Standorte, eine Prachtscharte liebt es dagegen sonnig und feucht, hasst aber Kaninchen usw.

Während den Delphinen in den Meeren die Vermüllung und andere Umweltbelastungen zusetzen, finden sie in diesem steinernen Refugium einen Rückzugsort.

Wer sich die Mühe macht, seinen Garten bezüglich seiner Standortfaktoren genau zu analysieren (eine Aufgabe, die jeder seriös arbeitende Gärtnereibetrieb vornehmen können sollte), der weiß die richtige Pflanze am richtigen Standort einzusetzen. Dort ist die Pflanze dann konkurrenzstark und unterdrückt andere, möglicherweise unerwünschte Pflanzen, ohne viel Zutun des Gartenbesitzers. Ein mit diesen Prinzipien der Natur angelegter Garten macht viel weniger Arbeit als ein Schottergarten, dessen Ist-Zustand mit großem Aufwand und unserem regelmäßigen Eingreifen aufrecht erhalten werden muss.

Sollte man aus nostalgischen Erwägungen dennoch nicht ganz auf Pflanzen verzichten wollen, dann hält der Fachhandel adäquate Vorgartengewächse bereit: Thuja-Persiflagen und Buchsbaum-Karikaturen…

Das Leben gestaltet sich selbst

Schon allein aus thermodynamischer Sicht (Entropie) ist die Aussage nicht haltbar, ein naturnaher Garten mache mehr Arbeit als ein naturferner Schottergarten. Im Gegenteil: Das Leben (z.B. die Pflanze) zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es sich und seinen Lebensraum, unter Aufwendung von Energie, selbst gestaltet. Die künstliche Ordnung in toten Systemen muss hingegen allein von UNSERER Arbeit aufrecht erhalten werden.

Wahre Schönheit kommt von innen.

Arbeitserleichterung braucht Leidenschaft und Know How

Zur Arbeitserleichterung braucht ein lebendiger Garten also vor allem Leidenschaft und Know How. Ein Schottergarten hingegen braucht ein teures Unkrautvlies, einen Laubbläser, die Giftspritze, bisweilen sogar Wasserstoffperoxid, um die Steine frei von Algen zu halten – wie ich kürzlich lesen musste – und zu guter Letzt einen Psychotherapeuten für dessen Besitzer.

Pflanzen im Garten? Das ist heute schon lange kein Muss mehr. Der moderne Schottergarten ist vielfach schon komplett pflanzenbefreit und daher praktisch pflegefrei.

Dunkelbunt: Okay, überzeugt! Das Gärten-Bashing ist natürlich lustig – aber bringt es etwas? Also, gibt es auch einen Weg, jemandem klar zu machen, dass Natur schöner ist als Ordnung?

Ulf Soltau: Das Ziel von GdG ist nicht, Schottergärtner eines Besseren zu belehren, oder sogar zu überzeugen. Es ist natürlich zu begrüßen, wenn das passiert, doch GdG geht es viel mehr darum, auf eine völlig kontraproduktive Entwicklung im Gartenbereich (in Hinblick auf Artenschutz und Klimawandel) hinzuweisen und mit Humor und Augenzwinkern auf einen gesellschaftlichen Stimmungswechsel hinzuwirken. Schottergärten müssen in der breiten Öffentlichkeit endlich als das gesehen werden, was sie sind: ein verantwortungsloser Frevel gegenüber Natur, Klima und kommenden Generationen, ein trauriges Armutszeugnis und peinlicher Beweis des eigenen Unvermögens, ein garten-kulturhistorischer Kotau vor den Geschmacksmonopolisten Hellweg, Obi, Bauhaus & Co. und im hohen Maße lächerlich.

Es geht um Beschämung.

Dunkelbunt: Vielen Dank für das Gespräch.
(Interview: Beate Schwedler)

Es gibt auch Gräber des Grauens

Auch machbar: Gräber des Grauens
Am 28. März ist „Internationaler Tag des Unkrauts“. Wer eins findet hat gewonnen….

Zur Intention von „Gärten des Grauens“:

„Trotz des lebenslangen Kampfes eines Dieter Wieland (“Grün Kaputt”) konnte die deutsche Nachkriegs-Gartenkultur ihren Charakter weitestgehend bewahren. Entgegen aller verrückten Modetrends wie Permakultur, Naturgärten oder Rückbesinnung auf romantische Bauerngärten bleibt sich der Deutsche Michel treu und sein Garten sauber, ordentlich und aufgeräumt. Natur ist und bleibt hier ein lästiger Störenfried.

Das Projekt „Gärten des Grauens“ ist der Versuch, mit Mitteln des Humors und der Satire diese fragwürdige deutsche Gartenkultur gesellschaftlich unmöglich zu machen. Ziel unserer Satire sind naturfeindliche Schottergärten, Kunstrasen, sterile Krüppelkoniferen und Leute, die damit ihre Geschäfte machen.“
Fotos: Ulf Soltau / „Gärten des Grauens“

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