Der dunkelblaue Grund des Schnapsglases

„Mein Vater ist mir, uns, durch die Hände geglitten, bis er nicht mehr war.“ Dominik Schottner wusste schon lange, dass sein Vater alkoholabhängig ist. Nach seinem Tod versucht er, in der Familie auf den dunkelblauen Grund für die tückische Sucht zu kommen. Wie hat es soweit kommen können? Was führte zu diesem Absturz seines Vaters, der einst erfolgreich bei einer Gesellschaft für Konsumforschung arbeitete?

Wie hat es soweit kommen können?

Mit solchen Fragen im Gepäck zieht der Sohn los und befragt die, die seinen Vater kannten. Seine Mutter, die sich wegen des Alkohols scheiden ließ, frühere Arbeitskollegen, Verwandte…

Schottner will verstehen, wie es dazu hat kommen können. Seine Suche entwickelt sich auch zu einer Auseinandersetzug mit der Geschichte seiner Familie. Wie war das im Krieg, wie war das nach dem Krieg? Die Jahre des Aufschwungs… Die Familie lebt in einer „der Umgebung perfekt angepassten Reihenhausexistenz“ – nicht in einem Klischee-Säuferhaushalt. In der Siedlungsgemeinschaft wird ab und an zusammen gefeiert, aber ansonsten „sind die Sorgen der meisten nicht unsere – und unsere nicht die ihren“. Die Statistiken bestätigen, dass meist Männer zum Alkohol greifen: „Die Männer trinken und die Frauen halten den Laden am laufen. Wenn überhaupt, schmeißen sie Pillen ein.“

Zunächst eine Flasche Bier zum Runterkommen

Schonungslos offen beschreibt Schnottner den Weg, den sein Vater ging und der, wie viele Akoholiker, gar nicht recht merkt, was geschieht: Zunächst eine Flasche Bier zum Runterkommen, zum Stressabbau nach einem langen Arbeitstag. Die Familie schaut jahrelang weg. Und auch die Umgebung fällt nicht immer durch hilfreiches Eingreifen auf. Ein Hausarzt, dem sich der Vater anvertraut, empfiehlt, gegen das Zittern der Hände eine Weinschorle zu trinken.

Der Vater sieht seinen Alkoholkonsum nicht als problematisch und empfindet sich auch nicht als Suchtkranken. Und dies ist auch schon Teil der Krankheit. Er versucht es in einer Gruppe zum „kontrollierten Trinken“, schafft es aber schon nach wenigen Wochen nicht mehr, nüchtern zu den Sitzungen zu erscheinen. Das kontrollierte Trinken erlernte er nicht und eine andere Art, vom Alkohol loszukommen, wollte er auch nicht probieren. Zum Frusttrinken kommt Schmerzverarbeitungstrinken. Schmerz über den Tod seiner Mutter, den der Vater aber nicht zeigen will…

Als hätte jemand alle Regungen stummgeschaltet

Eindrücklich beschreibt das Buch einerseits die Geschichte des Vaters, aber vor allem auch, wie sich dies für den Sohn anfühlt, der inzwischen selbst Vater von Kindern ist. Er erlebt seinen Vater, „als hätte jemand auf der Fernbedienung mute gedrückt und alle Regungen meines Vaters stummgeschaltet. Man sah ihn noch handeln, aber die Gefühlsspur war stumm. Ab und zu setzte er sich in den Zug und fuhr nach Rothenburg, blieb ein paar Tage, wurschtelte rum, aber etwas schien ihm abzugehen. Wille.“

Der Sohn möchte den Vater gerne um Rat fragen und einen ernst zu nehmenden von ihm bekommen. „Manchmal funktionierte das. Manchmal endete es aber nur in trauriger Wortlosigkeit, die wie ein Marker für eine schleichende Entkoppelung von der Welt war.“ Und schließlich täuscht sein Vater Stärke nur noch vor und war doch nie schwächer. Die Sprachlosigkeit und die Scham des Vaters wirken wie ein schleichendes Gift – womöglich stärker als der Alkohol.

Ein starkes, ein seltenes Buch über die Gesellschaftsdroge Alkohol, ohne Scham und Schuldzuweisung geschrieben. Den Sohn bringt die Recherche am Ende seinem Vater näher als je zuvor.

Fazit: Unbedingt empfehlenswert!

Dominik Schottner „Dunkelblau. Wie ich meinen Vater an den Alkohol verlor.“
2017, Verlag Piper, 253 Seiten, 15 Euro

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